Mittwoch, 9. August 2017

Einmal Globalisierung Süßsauer

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 

Bunt ist schön, bunter ist schöner

M.R. Heydt über Mika Rottenbergs: Cosmic Generator

Zunächst betritt man einen ehemaligen Asia-Laden, der zwar offenbar aufgegeben und verwaist ist, in einzelnen Winkeln seiner Räume und Regale aber immer noch mit Anhäufungen immer gleicher, bunter Nutzlosigkeiten wie Lamettagirlanden oder grüner Porzellanelefanten ausstaffiert ist. Von dort gelangt man in ein Hinterzimmer, das zu einem richtigen kleinen Kinosaal inklusive Klappsitzreihen umfunktioniert wurde. 

....und hier noch schöner, weil bunter als sensibel...
Hier begegnen einem auf der Leinwand endlich auch die Asia-Billig-Läden, wie man sie kennt, winzig und über und über vollgestopft mit einer bestimmten Kategorie billigen Plastikzeugs, seien es Blumen, Bälle, Lampen, aufblasbare Schwimmutensilien oder leuchtende Weihnachtsbäume. Und tief versteckt in diesen Warenbergen verschanzt sich hinter einer Registrierkasse oder einem Computerbildschirm eine nur schwer zu entdeckende Chinesin.
Was machen die da den ganzen Tag? Das scheint sich Mika Rottenberg auch gefragt zu haben. Irgendwie wohl gemeinsame Sache mit den weltumspannend existierenden China-Restaurants.

Aufblasbare Ananasse

 

Dort weiß man sowieso schon nicht wirklich, was da auf den Tisch kommt. Jetzt ist noch mehr Vorsicht geboten! Es könnten, Rottenbergs Film zufolge, weißhaarige Anzugträger mit Bluthochdruck auf Koriandergrün sein (die von ferne an amtierende US-amerikanische Präsidenten erinnern) oder Tacos mit menschlicher Füllung, die irgendwie ärmlich aussehen, trotz ihrer reichhaltigen Beilagen.
Wenn ich mir das richtig zusammengereimt habe (die assoziativen Zusammenhänge könnten auch ganz andere sein), zeigt der Film folgendes:
Eine Schwarzafrikanerin liefert die „Rohstoffe“, indem sie farbige Glühbirnen mit dem Hammer zertrümmert. Aus deren kaleidoskopartig ausgebreiteten Bruchstücken wird offenbar eine Droge destilliert, welche die Chinesinnen in ihren winzigen Ladenlokalen mittels einer Art elektronischer Wasserpfeife inhalieren. 

Wahrscheinlich sind deshalb alle asiatischen 1-Euro-Shops so übermäßig schrill bunt, glitzernd und leuchtend. Außer dieser magischen Verknüpfung über Spiralkabel mit Mundstück gibt es noch den Tunnel, der quasi die heimliche Hauptrolle spielt. Er ist mit verschiedenfarbigen bunten Glühbirnen beleuchtet (aha!), wirkt manchmal wie glatter Beton, manchmal wie der Strukturputz aus der benachbarten Pizzeria-Grotte, also eine Art künstlicher Tropfsteinhöhle. Am Boden des Tunnels verläuft ein chromglänzender Schienenstrang, an dem manchmal der weiße Mann im Anzug oder der bärtige Taco entlangkrabbeln.

Eine Vision wie aus dem Hexenkessel






Meist fährt aber die Kamera durch die gekurvten Gänge des leeren Tunnels von einer Farbzone in die nächste, was weniger nach Endoskopie aussieht als nach Musikvideo und dem Ende von Kubricks 2001.

Und es gibt die amerikanisch-mexikanische Grenze, einen monströsen Zaun mitten in der Wüste, auf dessen einer Seite anscheinend eine verdächtig hohe Anzahl spanisch beschrifteter China-Restaurants existiert.

Authentischer Tex-Mex-Chinese


Diese Filmaufnahmen stammen aus der mexikanischen Stadt Mexicali und ihrem jenseits der Grenze gelegenen, kalifornischen Teil Calexico; die Bilder der Billigläden überwiegend tatsächlich aus China. 
Außerdem kommt eine fahrbare Pseudo-Garküche mit Schirm vor, unter deren metallisch glänzenden Abdeckhauben offenbar die Enden des magischen Tunnels sind, durch den man diese Grenze überwinden kann.
Oder können das nur die Chinesen? Oder ist das chinesische Essen das einzige, was alle Grenzen mühelos überspringt oder unterwandert?
Das bleibt alles ziemlich rätselhaft, surreal und superbunt, manchmal auch albern ( und erinnert nicht erst in dem Moment, da die typische Chinarestaurant-Deko eines elektrisch bewegten Wandbildes lebendig wird und wahlweise der Hirsch kotzt oder der Kranich kackt, in Neonbunt, versteht sich, an Michel Gondry); der Film besitzt einen durchaus ernsten Hintergrund (den globalisierten Warenkreislauf, die Plastikschwemme, weltweit grassierendes schlechtes Essen etc.) kommt aber dennoch eher grotesk komisch und leichtfüßig daher, man könnte auch sagen: unterhaltsam – aber pssst, nicht den Gralshütern der Hyperkapitalismuskritik weitersagen – und entfaltet in seiner halluzinogenen Optik eine ziemliche Sogwirkung. 

Der Tunnelblick

Wie hieß es so schön in meinem letzten Glückskeks?
„Das Leben ist eine kosmische Frühlingsrolle“.

M.R. Heydt  

M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Koselleck sowie skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl..

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Da radelt man an einem der wenigen wirklichen Sonnentage zur Skulptur, prüft bei 33° Innentemperatur in der Gartenlaube Zum Mühlenfeld die Eintragungen der KGV-&Deller-Fans, um dann nebenan beim Feuer von Bartholl, inzwischen 34° Außentemperatur, sein Handy aufzuladen, damit man wenige hundert Meter weiter in diesem Asia-Shop im Dunkeln ne halbe Stunde lang (!) einen Film sehen muß, da wo man froh ist, daß das Handy wenigstens in voller Kraft funktionsfähig ist. So.