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Donnerstag, 21. September 2017

Die Welt als Bimmeln und Vorstellung

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 

 zum Tondokument ....) ! (....


M.R. Heydt über Cerith Wyn Evans: A Modified Threshold (Eine veränderte Schwelle…)

Nachdem es so viele Skulpturen, respektive Projekte gibt, bei denen man nichts sehen kann, ist es Zeit für ein Werk, bei dem man außerdem nichts hört.

Wenn man schon von der Kunst weder etwas sehen noch hören kann, muss man eben das Drumherum betrachten – und siehe da, es ist sogar ganz hübsch:

Die Kirche St. Stephanus aus dem Jahr 1965 besticht durch interessante Fenster und Lichtführung im Innern….


Die Idee ist so bescheuert, dass man glatt ins Grübeln kommen könnte, ob da nicht doch was dran ist: Mit immensem Aufwand, nämlich mittels eines Kühlaggregats eine Kirchenglocke so zu kühlen, dass sie ein kleines bisschen höher gestimmt wird.
Einmal völlig abgesehen von der Frage, ob das technisch möglich ist – und wenn ja, wie, denn damit die benachbarten beiden Glocken nicht auch kälter werden, müsste ja das Kühlelement direkt an der Glocke angebracht sein, und wie sollte die dann noch klingen können –, ganz abgesehen davon bleibt die Kardinalfrage: So what?

…viel Grünspan draußen, in normaler Scheibenform …
Man kann es beim besten Willen nicht hören, weil man ja nicht weiß, wie die Glocke sonst klänge, es gibt auch keinen erkennbaren harmonischen Zusammenklang mit den anderen beiden Glocken, aus dem die dritte, gekühlte jetzt dissonant herausfiele, man muss also schon daran glauben, dass da jetzt etwas anders ist (bzw. überhaupt die entsprechende technische Apparatur dort installiert wurde).
Das Gute daran ist, dass die Besucher überhaupt minutenlang andächtig dem Läuten der Kirchenglocken lauschen. Oder dass sie sich die gar nicht mal so uninteressante Kirche St. Stephanus aus der Nähe betrachten.


…oder als Zitronenschale unterm Kreuz (oder ist es ein kaputter Regenschirm?)…


Das Schlechte, dass man nicht so sehr glauben als vielmehr eine erhebliche Menge an gutem Willen aufbringen muss, um überhaupt etwas an der Idee von Cerith Wyn Evans zu finden.
Sie kann beim Betrachter ganz leicht für erheblich mehr Verstimmung sorgen als bei der Glocke. Jedenfalls schwankt der Besucher wie die Glocke schwingt, hin und her, zwischen gerechter Empörung und philosophisch beflügelter Phantasie, zwischen Frust und Poesie, Bim und Bam. Oder er hält sich gleich an das berühmte Lied von Schillers Fritz:


…..und außerdem durch sehr geduldige Zuhörer: Warten auf den Heiligen Bimbam.

„ Ein Glockenton flog durch die Nacht,
als hätt er Vogelflügel,
er fliegt in römischer Kirchentracht
wohl über Tal und Hügel […]“
So hochgestimmt war er noch nie,
auch wenn er fröstelnd zittert,
er pfeift ‘ne schräge Melodie.
Der Küster schweigt verbittert.

              
M.R. Heydt

M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppes skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl....

Montag, 18. September 2017

O Fuck Art Will Die



Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 


Unbeteiligte Zuschauer auf der Fuckbank

Dr. Jackie L. Stevenson Hito Steyerl: HellYeahWeFuckDie

Im Foyer der LBS ist mords was los. Bunt gewandete Touristen laufen in Scharen hin und her, Roboter bekommen ein Bein gestellt oder einen gezielten Karatetritt verpasst und Banker sitzen auf Bänken, die das Wort FUCK buchstabieren. Was ist passiert? Hito was here, Hito Steyerl.
In der in jeder Hinsicht kühlen Halle hat sie ein Ensemble aus Wandschirmen, Stützrohren und Sitzbänken installiert, das aussieht, als sei es für den Raum maßgeschneidert, so nahtlos fügen sich die Stahlprofilbleche und Haltestangen (die nur verchromt noch besser ausgesehen hätten) in den nüchternen Raum mit seinen Betonpfeilen, seiner Rasterdecke und den glänzenden Steinfliesen ein. Auch mit der geradezu erschreckend unsichtbaren Kunst aus LBS-eigenem Besitz, all den farblosen, metallisch glänzenden oder spiegelnden Arbeiten von Yaacov Agam, Adolf Luther, Günther Uecker, Heinz Mack oder Victor Bonato harmonieren die Einbauten von Steyerl aufs Beste.

Ganz schön hell hier.


Die auf dem Fußboden ruhenden, quaderförmigen Betonbänke haben es allerdings in sich: Auf ihren Vorderseiten bestehen sie aus neonweiß leuchtenden Großbuchstaben, die sich zu den Worten hell, yeah, we, fuck und die formieren. (Jeweils in zweifacher Ausführung und unterschiedlich gruppiert übers gesamte Foyer verteilt.)
Diese Worte sollen die fünf am häufigsten gebrauchten in den englischsprachigen Pop-Charts der letzten zehn Jahre sein – ziemlich unglaubwürdig, so ohne I und Love und You. Aber nun gut, sei dem wie ihm wolle, die auf das nötigste reduzierten, zurückhaltend grauen Sitzmöbel kollidieren aufs Heftigste mit der aggressiven Semantik der Leuchtbuchstaben, und in dieser laut-leisen Mischung aus baulich-ästhetischer Harmonie und frecher Rotzigkeit, kühler Strenge und herausgeschriener Selbstzerstörungswut hätte wirklich Potential gelegen – hätte es Frau Steyerl bei den leuchtenden Buchstaben- Betonbänken belassen.


Hito hinter den Spiegeln

Aber ach, stattdessen müssen da zwei Videos flimmern, eines davon gleich in dreifacher Ausfertigung (wodurch es um keinen Deut besser wird). Es mutet an wie eine Sammlung aus YouTube-Clips der Rubrik „Meine lustigsten Unfälle mit Robotern“, die hier offenbar gezielt aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Dagegen geschnitten sind ziemlich schematische Computersimulationen von mal saurier-, mal menschenähnlichen Gestalten, meist auf  ein geometrisches Gerippe reduziert, deren Bewegungsabläufe ebenfalls regelmäßig ein desaströses Ende finden.


Auf der anderen Seite des Foyers läuft ein halbdokumentarisches Video über den Krieg in Kurdistan, genauer gesagt die an der syrischen Grenze gelegene, fast völlig zerstörte Stadt Cizre, der Heimat des arabischen  Gelehrten al-Dschazarī, der an der Wende vom 12 zum 13. Jahrhundert u.a. auch mechanische  Spielzeuge erfunden hat (die offenbar als Vorläufer von Robotern gedeutet werden sollen).

Völlig aus dem Gleichgewicht: Da staunt der Fachmann Bauklötze


Dazwischen schneidet Steyerl echten Volkstanz und ein bisschen unlustiges Siri-Bashing, also das Vorführen des dümmsten virtuellen Weibchens seit Erfindung der automatischen Spracherkennung.
Und was soll uns das sagen? Schon klar, Roboter sollen dereinst als Hilfsmaschinen auch in Kriegsgebieten eingesetzt werden und deshalb nicht gleich beim ersten Seitenhieb umfallen. Das kurdische Volk hat ein Recht auf nationale Selbstbestimmung, einverstanden. Aber in diesem Allerweltsbrei, den die Künstlerin hier anrührt, hat offenbar alles mit allem irgendwie zu tun, al-Dschazarī mit Al Jazeera, Siri womöglich mit Cizre und die LBS mit der PKK. 


Schade, dass hier nicht „Robots“ läuft, da kommt wenigstens ein James Brown –Roboter vor


Das fällt nicht nur inhaltlich völlig auseinander, das entgleist auch formal total. Spätestens mit den zwei blauen Schaumstoffbauklotzfiguren, die auch noch im Foyer herumliegen. Sie sind in denkbar schlichter Manier den hopsenden Klotz-Skeletten aus den Computersimulationen nachempfunden, einer stehend, einer gefallen, beide armlos und peinlich infantil. 


Flowers, yeah!


Als hätte Steyerl in ihr Ensemble unbedingt auch noch eine Kinderspielecke einbauen wollen, um das geistige Niveau zu untermauern, auf dem hier agiert wird. Bad Ugly Fucking Stupid Yeah.


Dr. Jackie L. Stevenson

Dr. Jackie L. Stevenson ist Autorin einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppes skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl....

Welche Pille hätten‘s denn gern?

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 
Let’s get horizontal


M.R. Heydt über CAMP: Matrix
Hier werden die großen Fragen der Menschheit verhandelt, wie „Wat is’n Dampfmaschin‘?“ oder „Was ist die Matrix?“ Schwer zu sagen bei diesem Überangebot an Antworten, das uns die indische Künstlergruppe CAMP [Fußnote: Camp wie „Lager“? Oder wie „geschmacklos, theatralisch, aufgedonnert, affektiert, übertrieben“? Camp wie „schwuler Kitsch“, frei nach Susan Sontag, oder wie „Cyclisches Adenosinmonophosphat“? Alles falsch, es ist nur CAMP wie „Critical Art and Media Practices”] hier liefert. Sie haben den Innenhof des Theaters zwischen Altbauruine und Neubau okkupiert und dabei alles gegeben. Was ein bisschen zu viel ist.



Let’s get horizontal





Die Arbeit Matrix besteht aus einem durch die Luft gespannten Kabelgewirr, das aussieht, wie von der letzten Partybeleuchtung übriggeblieben, angeblich aber in plumpester Metaphorik die Vernetztheit unserer digitalen Welt symbolisieren soll (nebst etlichen anderen Dingen mehr, wie dem noch einzulösenden Versprechen einer hierarchiefreien, also horizontalen Gesellschaft, wobei mir bei „horizontaler Gleichberechtigung“ ganz andere Sachen einfallen).



Die Frau am Fenster (s.u.)



Dazu gehören einige von dort oben herabbaumelnde Kabelenden, die jeweils mit Schaltern versehen sind, so dass man an drei Stellen unterschiedliche Effekte erzielen kann, die man dann mit mehr oder minder großem Staunen entdeckt. Der Spieltrieb des Besuchers wird dadurch natürlich enorm befriedigt, zumal häufigeres Drücken der Schalter immer neue Variationen des Geschehens hervorbringt.
Nur, was all diese Elemente miteinander zu tun haben sollen, erschließt sich beim besten Willen nicht: Da gibt es den aus Lautsprechern schallenden Klang von Kirchenglocken, der sich nach und nach immer mehr verzerrt, bis daraus ein beinahe tanzbarer elektronischer Beat wird.
Es gibt hinter den Fensterscheiben zum Foyer ein Paar Bildschirme, auf denen man entweder das Standbild einer dunkelhäutigen Person mit blonder Langhaarperücke zu sehen bekommt (das aus Michael Kliers „Der Riese“ stammen soll, einem dokumentarischen Videozusammenschnitt unzähliger Überwachungskameras, passenderweise aus dem Jahr 1984 ) oder Ausschnitte aus der Verfilmung von Orwells „1984“. Daneben flimmern Fotos von den Eröffnungsfeierlichkeiten des Münsterschen Theaterneubaus im Jahre 1956 vorbei, oder aber, nach Knopfdruck, ein Gedicht, das sich ziemlich beschwingt liest, weil es in bester Couplet-Manier die Stadt „Als Ob“ besingt, das überhaupt nichts Lustiges mehr an sich hat, wenn man erfährt, dass es von Leo Strauss im KZ Theresienstadt verfasst wurde.


Die Frau am Fenster



Wenn das die Beliebigkeit der via Internet über uns hereinbrechenden Informationsflut darstellen soll, dann ist es geglückt. Wir drücken wahllos auf Knöpfen herum, wissen nicht, was dann passiert und werden mit irgendwelchen Tönen, Texten und Bildern konfrontiert, die vielleicht etwas mit dem Ort zu tun haben, an dem wir uns befinden, unserer Geschichte, unserer Gegenwart oder unserer imaginären ehemaligen Zukunft – vielleicht aber auch nicht.
Hätten die Künstler sich doch nur beschränkt auf das, was nun wirklich einmal so überraschend wie überzeugend daherkommt : Mit dem letzten der drei Schalter bewirkt man nämlich, dass im Zeitungshaus gegenüber vom Theaterinnenhof, an einem Fenster der oberen Stockwerke, weit über dem Betrachterstandpunkt, für einen kurzen Moment eine junge Frau erscheint und freundlich herüberwinkt. Oder einen Fotoapparat zückt und uns Kunstvoyeuren mit den gleichen Mitteln vergilt, was wir die ganze Zeit probieren, nämlich diese flüchtige Erscheinung im Bild festzuhalten. Oder ein Schild hochhält, auf dem steht „My mother was a computer.“
In der Tat ist die Frau am Fenster nur eine Simulation, ein Filmbildchen, aber so täuschend echt neben einem ganz genauso aussehenden leeren Fenster mit Orchidee platziert, dass man eine Weile braucht, um zu registrieren, dass das Mädchen nicht echt ist.
Dieses Spiel von Schein und Sein, Virtuellem und Realem, die gegenseitige Überwachung per Kamera, die Entlarvung der Oneway –Kommunikation als No-Way-Kommunikation, das wäre für sich genommen etwas richtig schön Schlüssiges gewesen. Und wenn meine Urgroßmutter Räder hätte, wär‘ sie ein Omnibus.


M.R. Heydt 


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl.
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Sonntag, 17. September 2017

Perfekt Hybrid



Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 

 
Multicoloured Polyglotte

M.R. Heydt über Gintersdorfer/Klaßen: Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt

Um das vorwegzunehmen: Mit Kunst, auch der im öffentlichen Raum, gar mit Skulpturen hat das Ganze hier nichts zu tun, und warum das Spektakel in das Mega-Event Skulptur-Projekte eingebunden wurde, das wissen die Götter – oder die ihnen sich gleich dünkenden Kuratoren.
Ansonsten aber kann es hier im Pumpenhaus gute Unterhaltung geben. Da jeden Tag etwas anderes auf dem Programm steht, Gastspiele beispielsweise oder die nächste Stufe der sich fortlaufend entwickelnden Performancetanztheaterproduktion, die einst als „Kabuki noir Münster“ angekündigt wurde und jetzt „Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt“ heißt, weiß man nicht genau, was einen erwartet. Aber es könnte etwa Folgendes sein:

Multicoloured Polyglotte

Ein Mann afrikanischer Abstammung sitzt in einer Ecke der Bühne an einer Nähmaschine und hantiert dort mit bunten Stoffen.
Ein höchst merkwürdig mit Kapuze und  grellbunt gepunkteten Socken kostümierter Musiker postiert sich hinter seinem Gerätetisch.


Multicoloured Polyglotte

Dann tritt ein japanischer Kabuki-Tänzer auf und vollführt einen kurzen Tanz zu elektronisch verfremdeter, irgendwie aber noch asiatisch klingender Musik.
Anschließend erklärt er, was er gerade getan hat, eine Dolmetscherin übersetzt seine japanischen Ausführungen ins Deutsche und Englische.

„Wir versuchen glamourös zu sein, um das Gefühl von Armut zu überwinden.“ (G/K)

Das bleibt ein wesentliches Charakteristikum der Aufführung: Die Akteure erklären stets was sie tun, im Vorhinein oder im Nachgang, und übersetzen das entweder selbst oder lassen übersetzen, so dass wir mindestens eine deutsche und eine englische, manchmal auch noch eine französische oder, wie zu Beginn, eben eine japanische Erläuterung erhalten. 


Multicoloured Polyglotte
Ansonsten treten ein deutscher Schauspieler, afrikanische und deutsche Tänzerinnen und Tänzer auf und vermischen unter anderem die Bewegungsformen des Coupé-décalé von der Elfenbeinküste mit denen des japanischen Kabuki. Sie hüllen sich dabei in wilde Phantasiekostüme, die in Schnitt und Farbe afrikanische und asiatische Einflüsse miteinander amalgamieren und vor allem bunt bis grotesk aussehen.

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Der Schauspieler beißt auch schon mal Stücke aus einem Holzklotz, der ihm zuvor als Schuhersatz gedient hat und spuckt die Späne wieder aus, außerdem wird über die Grenzen der Geschlechter im Kabuki-Theater referiert, wo alle Rollen von Männern getanzt werden und es spezifische Darstellungs- und Bewegungsmodi für weibliche und für männliche Figuren gibt, oder über die Geschlechterspezifik der westlichen Modeindustrie von heute räsonniert.
Irgendwann wird dann auch zur Sprache gebracht, woran es diesem selbst entwickelten Tanz-Performance-Stil vor allem mangelt: an einem Inhalt. Wie zum Beweis, aber eigentlich nur in Anführungszeichen wird dann ein Statement von Gesine Schwan zur Unglaubwürdigkeit Europas angesichts der fortwährend scheiternden Flüchtlingspolitik zitiert. Darum könnte es gehen.
Geht es aber nicht. Es bleibt bei einem permanenten, selbstreflexiven Produktionsprozess. Sozusagen einem Blick hinter die Kulissen, ohne dass vor den Kulissen etwas stattfindet.

polyglotte

Abgesehen natürlich von der mitunter geradezu akrobatischen Vermischung von Tanz und Kampfsport, der bewundernswerten Körperbeherrschung der Darsteller, der grotesken Kostüme oder einem Musiker, der überblasene Blockflötentöne ins Mikrophon pfeift.
Das nicht-darstellende Theater (non-representational theatre) muss nun eigentlich nicht mehr erfunden werden. Der Tanz ist es eigentlich schon immer – und was als Performance in der bildenden Kunst der 1960er Jahre einem staunenden Publikum zugemutet wurde, ist spätestens in der Tanz-Theater-Mischform von Pina Bausch im Mainstream angekommen.


Immerhin spiegeln sich die erwähnte Vielsprachigkeit des Geschehens und seine multikulturelle Hybridform in der erstaunlichen Internationalität des Publikums wider.
Vielleicht ist es das, was man als Quintessenz dieser Aufführung mit nach Hause nehmen kann: Dass es eine Form von grenzüberschreitender Völkerverständigung geben kann, wenigstens im Bereich von Kunst und Kultur, sowohl eine sprachliche als auch eine außersprachliche in Tanz, Theater und Musik. Das wäre schon viel.



M.R. Heydt 


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
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