Montag, 18. September 2017

Welche Pille hätten‘s denn gern?

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 
Let’s get horizontal


M.R. Heydt über CAMP: Matrix
Hier werden die großen Fragen der Menschheit verhandelt, wie „Wat is’n Dampfmaschin‘?“ oder „Was ist die Matrix?“ Schwer zu sagen bei diesem Überangebot an Antworten, das uns die indische Künstlergruppe CAMP [Fußnote: Camp wie „Lager“? Oder wie „geschmacklos, theatralisch, aufgedonnert, affektiert, übertrieben“? Camp wie „schwuler Kitsch“, frei nach Susan Sontag, oder wie „Cyclisches Adenosinmonophosphat“? Alles falsch, es ist nur CAMP wie „Critical Art and Media Practices”] hier liefert. Sie haben den Innenhof des Theaters zwischen Altbauruine und Neubau okkupiert und dabei alles gegeben. Was ein bisschen zu viel ist.



Let’s get horizontal





Die Arbeit Matrix besteht aus einem durch die Luft gespannten Kabelgewirr, das aussieht, wie von der letzten Partybeleuchtung übriggeblieben, angeblich aber in plumpester Metaphorik die Vernetztheit unserer digitalen Welt symbolisieren soll (nebst etlichen anderen Dingen mehr, wie dem noch einzulösenden Versprechen einer hierarchiefreien, also horizontalen Gesellschaft, wobei mir bei „horizontaler Gleichberechtigung“ ganz andere Sachen einfallen).



Die Frau am Fenster (s.u.)



Dazu gehören einige von dort oben herabbaumelnde Kabelenden, die jeweils mit Schaltern versehen sind, so dass man an drei Stellen unterschiedliche Effekte erzielen kann, die man dann mit mehr oder minder großem Staunen entdeckt. Der Spieltrieb des Besuchers wird dadurch natürlich enorm befriedigt, zumal häufigeres Drücken der Schalter immer neue Variationen des Geschehens hervorbringt.
Nur, was all diese Elemente miteinander zu tun haben sollen, erschließt sich beim besten Willen nicht: Da gibt es den aus Lautsprechern schallenden Klang von Kirchenglocken, der sich nach und nach immer mehr verzerrt, bis daraus ein beinahe tanzbarer elektronischer Beat wird.
Es gibt hinter den Fensterscheiben zum Foyer ein Paar Bildschirme, auf denen man entweder das Standbild einer dunkelhäutigen Person mit blonder Langhaarperücke zu sehen bekommt (das aus Michael Kliers „Der Riese“ stammen soll, einem dokumentarischen Videozusammenschnitt unzähliger Überwachungskameras, passenderweise aus dem Jahr 1984 ) oder Ausschnitte aus der Verfilmung von Orwells „1984“. Daneben flimmern Fotos von den Eröffnungsfeierlichkeiten des Münsterschen Theaterneubaus im Jahre 1956 vorbei, oder aber, nach Knopfdruck, ein Gedicht, das sich ziemlich beschwingt liest, weil es in bester Couplet-Manier die Stadt „Als Ob“ besingt, das überhaupt nichts Lustiges mehr an sich hat, wenn man erfährt, dass es von Leo Strauss im KZ Theresienstadt verfasst wurde.


Die Frau am Fenster



Wenn das die Beliebigkeit der via Internet über uns hereinbrechenden Informationsflut darstellen soll, dann ist es geglückt. Wir drücken wahllos auf Knöpfen herum, wissen nicht, was dann passiert und werden mit irgendwelchen Tönen, Texten und Bildern konfrontiert, die vielleicht etwas mit dem Ort zu tun haben, an dem wir uns befinden, unserer Geschichte, unserer Gegenwart oder unserer imaginären ehemaligen Zukunft – vielleicht aber auch nicht.
Hätten die Künstler sich doch nur beschränkt auf das, was nun wirklich einmal so überraschend wie überzeugend daherkommt : Mit dem letzten der drei Schalter bewirkt man nämlich, dass im Zeitungshaus gegenüber vom Theaterinnenhof, an einem Fenster der oberen Stockwerke, weit über dem Betrachterstandpunkt, für einen kurzen Moment eine junge Frau erscheint und freundlich herüberwinkt. Oder einen Fotoapparat zückt und uns Kunstvoyeuren mit den gleichen Mitteln vergilt, was wir die ganze Zeit probieren, nämlich diese flüchtige Erscheinung im Bild festzuhalten. Oder ein Schild hochhält, auf dem steht „My mother was a computer.“
In der Tat ist die Frau am Fenster nur eine Simulation, ein Filmbildchen, aber so täuschend echt neben einem ganz genauso aussehenden leeren Fenster mit Orchidee platziert, dass man eine Weile braucht, um zu registrieren, dass das Mädchen nicht echt ist.
Dieses Spiel von Schein und Sein, Virtuellem und Realem, die gegenseitige Überwachung per Kamera, die Entlarvung der Oneway –Kommunikation als No-Way-Kommunikation, das wäre für sich genommen etwas richtig schön Schlüssiges gewesen. Und wenn meine Urgroßmutter Räder hätte, wär‘ sie ein Omnibus.


M.R. Heydt 


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl.
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