Skulp & Blog - eine postkryptische Bestandsaufgabe der
Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen.
M.R. Heydt über Gintersdorfer/Klaßen:
Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt
Um das vorwegzunehmen: Mit Kunst, auch der im öffentlichen
Raum, gar mit Skulpturen hat das Ganze hier nichts zu tun, und warum das
Spektakel in das Mega-Event Skulptur-Projekte
eingebunden wurde, das wissen die Götter – oder die ihnen sich gleich
dünkenden Kuratoren.
Ansonsten aber kann es hier im Pumpenhaus gute Unterhaltung
geben. Da jeden Tag etwas anderes auf dem Programm steht, Gastspiele
beispielsweise oder die nächste Stufe der sich fortlaufend entwickelnden Performancetanztheaterproduktion,
die einst als „Kabuki noir Münster“ angekündigt wurde und jetzt „Erniedrigung
ist nicht das Ende der Welt“ heißt, weiß man nicht genau, was einen erwartet.
Aber es könnte etwa Folgendes sein:
Multicoloured Polyglotte |
Ein Mann afrikanischer Abstammung sitzt in einer Ecke der
Bühne an einer Nähmaschine und hantiert dort mit bunten Stoffen.
Ein höchst merkwürdig mit Kapuze und grellbunt gepunkteten Socken kostümierter
Musiker postiert sich hinter seinem Gerätetisch.
Multicoloured Polyglotte |
Dann tritt ein japanischer Kabuki-Tänzer auf und vollführt
einen kurzen Tanz zu elektronisch verfremdeter, irgendwie aber noch asiatisch
klingender Musik.
Anschließend erklärt er, was er gerade getan hat, eine
Dolmetscherin übersetzt seine japanischen Ausführungen ins Deutsche und
Englische.
„Wir versuchen glamourös zu sein, um das Gefühl von Armut zu überwinden.“ (G/K) |
Das bleibt ein wesentliches Charakteristikum der Aufführung:
Die Akteure erklären stets was sie tun, im Vorhinein oder im Nachgang, und
übersetzen das entweder selbst oder lassen übersetzen, so dass wir mindestens
eine deutsche und eine englische, manchmal auch noch eine französische oder,
wie zu Beginn, eben eine japanische Erläuterung erhalten.
Multicoloured Polyglotte |
Ansonsten treten ein deutscher Schauspieler, afrikanische
und deutsche Tänzerinnen und Tänzer auf und vermischen unter anderem die
Bewegungsformen des Coupé-décalé von
der Elfenbeinküste mit denen des japanischen Kabuki. Sie hüllen sich dabei in
wilde Phantasiekostüme, die in Schnitt und Farbe afrikanische und asiatische
Einflüsse miteinander amalgamieren und vor allem bunt bis grotesk aussehen.
mp |
mp |
Der Schauspieler beißt auch schon mal Stücke aus einem
Holzklotz, der ihm zuvor als Schuhersatz gedient hat und spuckt die Späne
wieder aus, außerdem wird über die Grenzen der Geschlechter im Kabuki-Theater
referiert, wo alle Rollen von Männern getanzt werden und es spezifische
Darstellungs- und Bewegungsmodi für weibliche und für männliche Figuren gibt,
oder über die Geschlechterspezifik der westlichen Modeindustrie von heute
räsonniert.
Irgendwann wird dann auch zur Sprache gebracht, woran es
diesem selbst entwickelten Tanz-Performance-Stil vor allem mangelt: an einem
Inhalt. Wie zum Beweis, aber eigentlich nur in Anführungszeichen wird dann ein
Statement von Gesine Schwan zur Unglaubwürdigkeit Europas angesichts der
fortwährend scheiternden Flüchtlingspolitik zitiert. Darum könnte es gehen.
Geht es aber nicht. Es bleibt bei einem permanenten,
selbstreflexiven Produktionsprozess. Sozusagen einem Blick hinter die Kulissen,
ohne dass vor den Kulissen etwas stattfindet.
polyglotte |
Abgesehen natürlich von der mitunter geradezu akrobatischen Vermischung von Tanz und Kampfsport, der bewundernswerten Körperbeherrschung der Darsteller, der grotesken Kostüme oder einem Musiker, der überblasene Blockflötentöne ins Mikrophon pfeift.
Das nicht-darstellende Theater (non-representational theatre) muss nun eigentlich nicht mehr
erfunden werden. Der Tanz ist es eigentlich schon immer – und was als
Performance in der bildenden Kunst der 1960er Jahre einem staunenden Publikum
zugemutet wurde, ist spätestens in der Tanz-Theater-Mischform von Pina Bausch
im Mainstream angekommen.
Immerhin spiegeln sich die erwähnte Vielsprachigkeit des
Geschehens und seine multikulturelle Hybridform in der erstaunlichen
Internationalität des Publikums wider.
Vielleicht ist es das, was man als Quintessenz dieser Aufführung mit nach Hause nehmen kann: Dass es eine Form von grenzüberschreitender Völkerverständigung geben kann, wenigstens im Bereich von Kunst und Kultur, sowohl eine sprachliche als auch eine außersprachliche in Tanz, Theater und Musik. Das wäre schon viel.
Vielleicht ist es das, was man als Quintessenz dieser Aufführung mit nach Hause nehmen kann: Dass es eine Form von grenzüberschreitender Völkerverständigung geben kann, wenigstens im Bereich von Kunst und Kultur, sowohl eine sprachliche als auch eine außersprachliche in Tanz, Theater und Musik. Das wäre schon viel.
M.R. Heydt
für den DER MEISTERSCHÜLER
M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017
– Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt-
und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene
Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische
Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung
leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl...
Diskurs auch auf FB, mögl...
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