Sonntag, 17. September 2017

Perfekt Hybrid



Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 

 
Multicoloured Polyglotte

M.R. Heydt über Gintersdorfer/Klaßen: Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt

Um das vorwegzunehmen: Mit Kunst, auch der im öffentlichen Raum, gar mit Skulpturen hat das Ganze hier nichts zu tun, und warum das Spektakel in das Mega-Event Skulptur-Projekte eingebunden wurde, das wissen die Götter – oder die ihnen sich gleich dünkenden Kuratoren.
Ansonsten aber kann es hier im Pumpenhaus gute Unterhaltung geben. Da jeden Tag etwas anderes auf dem Programm steht, Gastspiele beispielsweise oder die nächste Stufe der sich fortlaufend entwickelnden Performancetanztheaterproduktion, die einst als „Kabuki noir Münster“ angekündigt wurde und jetzt „Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt“ heißt, weiß man nicht genau, was einen erwartet. Aber es könnte etwa Folgendes sein:

Multicoloured Polyglotte

Ein Mann afrikanischer Abstammung sitzt in einer Ecke der Bühne an einer Nähmaschine und hantiert dort mit bunten Stoffen.
Ein höchst merkwürdig mit Kapuze und  grellbunt gepunkteten Socken kostümierter Musiker postiert sich hinter seinem Gerätetisch.


Multicoloured Polyglotte

Dann tritt ein japanischer Kabuki-Tänzer auf und vollführt einen kurzen Tanz zu elektronisch verfremdeter, irgendwie aber noch asiatisch klingender Musik.
Anschließend erklärt er, was er gerade getan hat, eine Dolmetscherin übersetzt seine japanischen Ausführungen ins Deutsche und Englische.

„Wir versuchen glamourös zu sein, um das Gefühl von Armut zu überwinden.“ (G/K)

Das bleibt ein wesentliches Charakteristikum der Aufführung: Die Akteure erklären stets was sie tun, im Vorhinein oder im Nachgang, und übersetzen das entweder selbst oder lassen übersetzen, so dass wir mindestens eine deutsche und eine englische, manchmal auch noch eine französische oder, wie zu Beginn, eben eine japanische Erläuterung erhalten. 


Multicoloured Polyglotte
Ansonsten treten ein deutscher Schauspieler, afrikanische und deutsche Tänzerinnen und Tänzer auf und vermischen unter anderem die Bewegungsformen des Coupé-décalé von der Elfenbeinküste mit denen des japanischen Kabuki. Sie hüllen sich dabei in wilde Phantasiekostüme, die in Schnitt und Farbe afrikanische und asiatische Einflüsse miteinander amalgamieren und vor allem bunt bis grotesk aussehen.

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Der Schauspieler beißt auch schon mal Stücke aus einem Holzklotz, der ihm zuvor als Schuhersatz gedient hat und spuckt die Späne wieder aus, außerdem wird über die Grenzen der Geschlechter im Kabuki-Theater referiert, wo alle Rollen von Männern getanzt werden und es spezifische Darstellungs- und Bewegungsmodi für weibliche und für männliche Figuren gibt, oder über die Geschlechterspezifik der westlichen Modeindustrie von heute räsonniert.
Irgendwann wird dann auch zur Sprache gebracht, woran es diesem selbst entwickelten Tanz-Performance-Stil vor allem mangelt: an einem Inhalt. Wie zum Beweis, aber eigentlich nur in Anführungszeichen wird dann ein Statement von Gesine Schwan zur Unglaubwürdigkeit Europas angesichts der fortwährend scheiternden Flüchtlingspolitik zitiert. Darum könnte es gehen.
Geht es aber nicht. Es bleibt bei einem permanenten, selbstreflexiven Produktionsprozess. Sozusagen einem Blick hinter die Kulissen, ohne dass vor den Kulissen etwas stattfindet.

polyglotte

Abgesehen natürlich von der mitunter geradezu akrobatischen Vermischung von Tanz und Kampfsport, der bewundernswerten Körperbeherrschung der Darsteller, der grotesken Kostüme oder einem Musiker, der überblasene Blockflötentöne ins Mikrophon pfeift.
Das nicht-darstellende Theater (non-representational theatre) muss nun eigentlich nicht mehr erfunden werden. Der Tanz ist es eigentlich schon immer – und was als Performance in der bildenden Kunst der 1960er Jahre einem staunenden Publikum zugemutet wurde, ist spätestens in der Tanz-Theater-Mischform von Pina Bausch im Mainstream angekommen.


Immerhin spiegeln sich die erwähnte Vielsprachigkeit des Geschehens und seine multikulturelle Hybridform in der erstaunlichen Internationalität des Publikums wider.
Vielleicht ist es das, was man als Quintessenz dieser Aufführung mit nach Hause nehmen kann: Dass es eine Form von grenzüberschreitender Völkerverständigung geben kann, wenigstens im Bereich von Kunst und Kultur, sowohl eine sprachliche als auch eine außersprachliche in Tanz, Theater und Musik. Das wäre schon viel.



M.R. Heydt 


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl.
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