Donnerstag, 31. August 2017

Tanz den Udo Jürgens

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 
 
Der Raum ist bunt, der Niedergang schwarzweiß.

M.R. Heydt über Benjamin de Burca / Bárbara Wagner: Bye Bye Deutschland! Eine Lebensmelodie

„Ich kann es fühlen, doch nicht sagen, wie es heißt.“ Hmm, Houston, dann haben wir ein Problem. Disco vielleicht? Deutscher Schlager? Kunscht?
In der als Anbaggerschuppen eher übel beleumundeten Discothek Elephant Lounge (andererseits: wozu wurden der Tanzboden, die Discothek, der Club erfunden?), in die der bildungsbeflissene Kunstbürger eher selten kommt, geschehen seltsame Dinge.
Nicht allein, dass am hellichten Tage Scharen höchst uncool gekleideter Menschen, eventuell gar mit Rucksäcken oder Kinderwagen, in die schummrig- bunt beleuchtete Tanzkaschemme einfallen, dort gibt es auch einen Film zu sehen, auf freistehender Leinwand doppelseitig zu betrachten – und was für einen! „Bilder die man nie vergisst“.
Was willst du? Mit mir tanzen gehen? Aber doch nicht zu „Bodenlos durch die Nacht“!
Zwar fängt er an wie ein Münstermarketingfilmchen, mit allen touristischen Sehenswürdigkeiten in nur wenigen Sekunden, untermalt von einer wunderhübschen Glockenklang-Collage (dem frühzeitigen musikalischen Höhepunkt des Films), aber schon bald geht es über in eine mockumentary (so heißen pseudodokumentarische Filme heutzutage) über eine Helene-Fischer-Imitatorin und einen Udo-Jürgens-Nachahmer.
Dann doch besser die Rodgau Monotones: „Mein Opa liebt Gemüsesuppen. / Der Buchhalter liebt sein Büro. / Ein Porschefahrer ohne Schuppen / der macht Frisösen froh.“
Trotz ganz viel Lokalkolorit und Auftritt im lokalen Fernsehstudio sind die Brüche in der Fiktion deutlich genug erkennbar, um die Fälschung als solche zu entlarven. Ohnehin gehen die „dokumentarischen“ Passagen schnell in ausgedehnte Gesangseinlagen über, die die beiden Protagonisten mit Bravour meistern.
Hinter der Bar, da liegt ein toter Stier / Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier.
Ohne Zusatzinformationen bleibt man aber, wie so oft in dieser Ausstellung, aufgeschmissen. Mit viel Nachforschungen und noch mehr Vermutungen kann man darauf kommen, dass die beiden Imitatoren von Frau Fischer und Herrn Jürgens tatsächlich hier aus der Gegend kommen und das Schlagernachsingen zumindest semiprofessionell betreiben. Wieso aber überhaupt Wiedergänger von Schlagersängern filmisch porträtiert werden sollten in einer an originären Musikern so reichen Stadt wie Münster, bleibt dennoch höchst schleierhaft. Als Schlagerhochburg würde wohl niemand die westfälische Metropole bezeichnen.
Und in der Disco, die so wunderbar altmodisch ist, würde man vielleicht John Travolta oder den jungen Michael Jackson erwarten, wenn man es denn stilecht haben will, aber bestimmt keine Schlagerfuzzis. „Da hatten sie wohl leider den falschen Udo bestellt“ Ja, der Herr Lindenberg, der hat immerhin was mit der Gegend und indirekt auch mit der Stadt hier zu tun, aber Herr Jürgens? Oder gar Frau Fischer? Da wäre Roland Kaiser passender gewesen. Aber egal, wie man es auch dreht und wendet, es wird kein Schuh draus, alles bleibt ebenso bunt wie beliebig.
Nur schade um den schicken Raum. Man hätte dort so schöne Musik spielen können! Kunst findet hier sowieso keine statt. Insofern ist es tröstlich, dass man aus dem Dämmerdunkel der Disco wieder herauskommt und sich sicher sein kann: „Immer, immer wieder geht die Sonne auf.“

M.R. Heydt


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl.
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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Im vollen Ernst, in dem Mann in der Disco tanzt, bin ich der begründbaren Ansicht, daß sowohl der Ort als auch die Installation dieses grandiosen Kurzfilms das absolute Highlight der SPM17 war. So wahr ich auch diese Schlager aus, ähem, Osnabrück liebe:
https://www.youtube.com/watch?v=ooTzD_1qjEs
https://www.youtube.com/watch?v=rUSgzn-cTgs