Samstag, 9. September 2017

Gefangen in der Endlosschleife

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen.

Dr. Jackie L. Stevenson über Gregor Schneider: N.Schmidt, Pferdegasse 19, 48143 Münster
Das Erste, was man von Gregor Schneiders Installation N.Schmidt, Pferdegasse 19… zu sehen bekommt, sind, neben der Türklingel samt Namensschild, Gegensprechanlage und Kameraauge, Schilder, die uns auf das strikte Photographieverbot und die angeblich vorhandene Videoüberwachung aufmerksam machen.
Wir sind, auch nachdem wir den Türwächter passiert haben und also ganz allein in der „Wohnung“ von N. Schmidt stehen, natürlich brav, ängstlich und fügsam, das heißt, wir halten uns an das Photographieverbot, insbesondere angesichts der angedrohten Videoüberwachung. Denn wer weiß, was passiert, wenn man das Verbot übertritt?
Womöglich öffnet sich eine der verschlossenen Türen, ein Wachmann stürzt heraus und sperrt uns in den verspiegelten Wandschrank?

Der Schlüssel zum Werk? Foto: Stephan Trescher 2017


Obwohl dort ja, Gerüchten zufolge, ein weißer Pfau hausen soll, der über ein geheimes Tunnelsystem jenseits der mexikanischen Grenze wieder auftauchen kann...
Aber nein, ist gar nicht wahr – das erwächst eben aus einem Bilderverbot, dass die Imagination Purzelbäume schlägt.
Das hat sie angesichts der grau-braunen Trostlosigkeit in der Schmidt’schen Wohnung aber auch bitter nötig: Diese ganze Installation von Herrn Schneider tut so, als sei sie ein Wohnraum, aber man glaubt es ihm keine Sekunde. Es werden nur Versatzstücke präsentiert (ein Schrank, eine hinterm Rollo versteckte Orchidee, ein laufender Fernseher) aber weder sieht es aus wie eine bewohnte noch wie eine unbewohnte Wohnung, weder nach Ein- noch nach Auszug, höchstens wie ein unfertiges Bühnenbild.
Das kann man gut finden (weil alles in der Schwebe bleibt, im seltsam surrealen Zwischenreich eines irgendwie miefigen Traums von einer modernen Spießerödnis) – oder einfach nur vollkommen unglaubwürdig und künstlich.
Sonderlich atmosphärisch ist das nicht, durch das herrschende Dämmerlicht (das nur im blitzblanken Badezimmer einer grellen Neonbeleuchtung weicht) hat man allenfalls den Eindruck einer leichten Beklemmung, alles wirkt noch gedämpfter, noch beiger

Aber es ist weder schön noch schlimm. Höchstens wenn man in Kenntnis des Kataloges eine raunend angedrohte „unsichtbare Aktion“ befürchtet, wird einem vielleicht etwas mulmig.
Wenn man die Zimmerflucht dann durchschritten hat, im Flur die nächste Tür öffnet und sich wieder am Ausgangspunkt wähnt, obwohl man weiß, dass man nicht im Kreis gelaufen ist, ist das der Moment der maximalen Irritation – man durchläuft ab jetzt alles noch einmal, es ist ein komplettes Déjà-Vu, nur die Bilder auf dem Fernsehschirm sind andere. 

Man könnte ja glauben, dass sie tatsächlich per Videoüberwachung in jenem Raum aufgezeichnet wurden, in dem man sich befindet. Oder in seinem Pendant nebenan. Denn man sieht nur Ausstellungsbesucher mehr oder minder ziellos eben jenen Raum durchschlendern. Nur, mit welcher zeitlichen Verzögerung das passiert oder ob es nicht überhaupt eine Fälschung, sprich: ein vorproduziertes Video ist, lässt sich nicht überprüfen.

Video killed the Photography Star, Foto: Stephan Trescher 2017




Und man sehnt sich nach der Klarheit, mit der Dan Graham und andere solche closed-circuit-Video-Experimente in den frühen 70er Jahren durchgeführt haben. Ohne theatralischen Schnickschnack, ohne spießiges Brimborium, da wusste man, dass es um Endlosschleifen, um Überwachung, um den beobachteten Beobachter, um das Wahrnehmen von Zeit und die Selbstwahrnehmung in der Zeit geht.

Hier geht es höchstens um Autosuggestion, ausgelöst durch ein paar Verbotsschilder, und das Wahrnehmen von Zeit in der endlosen Warteschlange draußen vor der Tür.

Dr. Jackie L. Stevenson
für den DER MEISTERSCHÜLER


Dr. Jackie L. Stevenson ist Autorin einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppes skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl...

Keine Kommentare: