Freitag, 27. März 2015

Schlachterden im Feldblumen- und Radieschentest

Raubgrabung am Kall Trail, Vossenack-Schmidt im Hürtgenwald 2015
Wo sich 1944/45 deutsche und amerikanische Soldaten zum Töten trafen, findet man heute verwachsene Bombentrichter am Steilhang im Hürtgenwald. Raubgräber hinterlassen auf dem in die Jahre gekommenen Schlachtfeld frisch aufgeworfene Erden am Wegesrand. Magnetophile Detektive spüren mit piepsenden Apparaten den armen Schweinen nach, deren Verabredung Tod und Verderben für ein variables Geschichtsschnitzel bieten. Hitlers Helden und amerikanische Befreier. Am Wochenende treffen sich Militaria zum Onanieren mit Wotan im Wald, gieren nach rostigen Stahlhelmen, Munition und Kriegsmüll, den sie auf Youtube zu Hause als militärische Fundgeschichte aufbereiten. Das seien alles Belgier, die dort ihr nazikrudes uniformes Unwesen trieben. So hört man  - von Einheimischen. Einen Panzer und einen Soldaten ließ ich vor Ort zurück.

"Scheiße, niedlich", Installation eines Panzers dort, wo Raubgräber und Kriegsspieler sich zum Buddeln treffen.

Der Hürtgenwald liegt im Frieden der Eifel von 2015. Grabfelder und variable Gedenkorte entwickeln touristisches Kapital - das Museum zu Vossenack heißt "Hürtgenwald 1944 und im Frieden".
"40m² Hürtgenwald" titelt sich eine Installation vor dem Museum. Ein in Rindenmulch eingebettetes Kriegs- und Schrottfeld vor dem Museum ist angelegt. Verbrannte Hölzer vom letzten Lagerfeuer liegen zwischen Granaten und Schrabnellen als gedenkpädagogische dunkle Stangen im Feld verteilt. Der Gedenkort ernährt sich vom totbringenden Eisen und Stahl. Allein es fehlt der Gartenzwerg.


Auch Amerikaner kommen in die Eifel. Doch die werden jetzt weniger - 70 Jahre nach dem Ende des Krieges. Aber man gedenkt der schweren Schlacht am Hurtgen Forest. Wo tote Menschen zum Fuchsfutter wurden, das in unereichter Geschmackslage am Steilhang zum Knabbern überwintern durfte. Infos auch am ausgewiesenen historischen Wanderweg - dem Kall Trail. Ein Arzt wurde zum Held und zwischen den Salven der Maschinengewehre gab es Pausen der Humanität im Alptraum der Schlacht... und ja es gab sie, die guten Deutschen, auch. Spektakuläres bleibt hängen - ... mir schwindelt bei der Betrachtung der inszenierten erinnerungskulturellen Überlieferung.

Manch einer spricht vom Vietnam der Amerikaner in Deutschland. 60.000. Eine Inflation der angenommenen Menge an tot umherliegenden, zerteilten Soldaten im Hürtgenwald gilt heute als überholt. Es bleiben ein paar ernüchternde Fünftausend Geschlachtete übrig. 

Helden und Legenden, Tote und gedenkstättenpädagogisch kontaminierte Erinnerung an all das, was uns selber nicht passierte, erzählen sich fort und weiter im Wald, in der Eifel - überall. Dankbarkeit für die Befreiung von Hitlerdeutschland mischt sich mit den sichtbaren Spuren unbeirrbarer örtlicher Schlachtenbummler, deren Videos auf Youtube so entsetzlich dämlich sind, dass ich auf deren Verlinkung verzichten möchte. Man kann gar nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte.



Zwei Tage irrte ich im Hürtgenwald umher und besuchte eine Exkursion der Universität Osnabrück. Streifte durch die Wälder im wunderschönen Vorfrühling von 2015. Nahm Spuren und Fährten der Raubgräber im Dickicht des Waldes auf. Sammelte steinige und rostige Dinge vom alten Kriegsfeld. Ließ mich von einem gelben Legostein berühren. Fand Knochenstücke im Maisfeld von heute und packte den zur Prüfung in ein Tütchen ein. Rind, Mensch oder Schweinebein? Feldspuren einer Knochenschlachtung.

Information der Gemeindeverwaltung auf dem Weg zu einer weiteren Erinnerungsstätte in Vossenack 2015
Später stand ich vor Gräbern und Steinzeugen einer anderen Generation. Hörte von Windhunden und Divisionen und sehe Zeugnisse künstlerischer Arbeiten von heute zum Krieg von gestern. Was nun? Was tun? In welche Formensprache sollen Künstler fallen, wenn sie den Krieg verarbeiten, ihm Bilder geben, formulieren, reflektieren, der Erinnerung einen Ort geben...? 

Beobachtete die Studierenden, die mit piependen Geräten über den Stoppelacker gingen, sah erste Auswertungen auf Monitoren flimmern, hörte Hacken hacken...und blickte in ein Loch, das der archäogeologohistorischen Forschung dient.

Feldblumenmischung (2015), nebst Schlachterden (1944) in Marmeladengläsern aus Plastik, am 19. März 2015

Führte seitenweise Tagebuch und entnahm dem Schlachtfeld Erden, die nun in meinem Atelier in einem Blumentopf stehen. Dann mischte ich historische Schlachtfelderden mit einer modernen Feldblumenmischung und gab dem kruden Gedanken Wasser. Gleiches versuchte ich mit der Aussaat von Radieschen in einem Marmeladenglas aus Plastik.

Schlachterden aus dem Hürtgenwald im Radieschentest - Marke Riesenbutter
Moderne Feldblumenmischung von 2015 gedeiht in Schlachtfelderden von 1944

Ich begreife das als FELDKULTURERBEFORSCHUNG und warte seitdem, daß was passiert. Gelingt die Saat? Und zeigen sich gute Ergebnisse bis zum 8. Mai 2015, wenn das Denken im Datum, der Zeitgeschichte ein weiteres Jubiläum schenken wird? 

Alles scheint niedlich. Hilflos, albern - aber grünlich, modrig und fruchtbar.


Erwarte nun eine termingerechte Blütenschlag und schöne Bilder aus dem FELDKULTURERBE zum 8. Mai.

Ratlos heute, am 26. März 2015, frage ich mich, wohin das führen soll - derweil sich die ersten Triebe aus der Schlachtenerde recken und sich mit den Radiowellen kreuzen, die von Schüssen in der Ukraine und von den kommenden Panzeraufmärschen zum Siegestag am 9. Mai in Moskau berichten. Es gibt kein Bild für 20 Millionen tote Sowjetbürger - was wiegen Zahlen? Wer fährt nach Rußland, wer drückt sich? Wer rechnet wann warum was auf? Zählen, Zahlen und Bezahlen? Rechnen und Aufrechnen?

Die inszenierte Erinnerung an die Millionen Toten wird zum politikkontaminierten Dopingmittel - zu einem Instrument. Es klingen Töne von gestern für eine Musik von morgen.

Denn jeder Tag kann Datum sein. Jede Erde Erinnerung. Jeder Boden Bedeutung.

Und aus der Erinnerung erquoll ein Dung, darin die Distel deihte, die ein Pflücken nie verzeihte.


Ruppe Koselleck

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