Dienstag, 3. Januar 2017

Delikatessen fürs Auge


Nachbilder zu Hiroyuki Masuyama Ausstellung in Coesfeld.
Eine leuchtende Wunderkammer


„Zeit-Reise“ hat der in Düsseldorf lebende Japaner Masuyama seine Ausstellung im Kunstverein Münsterland in Coesfeld genannt. Was ein in mehrfacher Hinsicht treffender Titel ist, denn der Photograph beschäftigt sich sowohl mit dem Phänomen der Zeit und wie sie zu verbildlichen sein könnte, als auch mit dem Phänomen der Reise – und in den meisten Fällen verbindet er in seinen Werken beide Themen zu einer Zeitreise durch die europäische Kunstgeschichte.
Bislang hat er sich in seinem Schaffen hauptsächlich an zwei Malern abgearbeitet, an Caspar David Friedrich und an J. M. William Turner. Deren Gemälde (im Falle von Turner auch viele Zeichnungen) baut Masuyama photographisch nach, indem er die Land- und Ortschaften aufsucht, von denen die beiden Maler ihre Motive nahmen, und vor Ort unzählige Photographien macht, Hunderte, wenn nicht Tausende, aus denen er dann Bilder zusammensetzt, die den gemalten Vorbildern verblüffend ähnlich sehen.
Das setzt außer einer geradezu manisch-akribischen Fleißarbeit natürlich eine virtuose Beherrschung der Techniken der Bildbearbeitung voraus, und obwohl man sich im ersten Moment fragen mag, ob das nicht nur computergestützte technische Fingerfertigkeit ist mit eher geringem künstlerischem Eigenanteil, ist man schon da fasziniert von der Wirkung, die diese Bilder entfalten. Denn sie sehen nicht einfach photographisch nachinszeniert aus, sondern tatsächlich „wie gemalt“. Gerade die bei den beiden Romantikern (eine beinahe unzulässig vereinfachende Vergemeinschaftung der beiden unter einem Begriff, ich weiß) ganz häufig vorkommenden Wolken- und Nebelphänomene, die atmosphärischen Lichtstimmungen, fängt Masuyama in einer Art und Weise ein, dass man seinen Augen kaum traut.

Morgennebel im Gebirge (Ausschnitt)

Nimmt man beispielsweise den „Morgennebel im Gebirge“ nach Friedrich, so mag man den überwiegend wolkenverhangenen Himmel, der an einer Stelle ins Blaue aufreißt, um die Sonne den Gipfelfelsen samt Kreuz bescheinen zu lassen, noch irgendwie für abphotographiert halten (obwohl auch da schon das frühlingshaft lichte Gelbgrün der Bäume und die rötlich warme Tönung der Felsen im Sonnenlicht mehr nach Malerei aussehen). Aber spätestens bei den bläulich grauen Nebelschleiern, die über den Nadelwald am Fuß des Berges ziehen, glaubt man neben den wolkigen Strukturen schon ehr Pinselstriche als ihr „Material“ ausmachen zu können.
Vollends bei Turners proto-impressionistischen Naturschilderungen, die vor lauter rein aus der Farbe gewonnenen Atmosphäre jeden naturalistischen Illusionismus weit hinter sich lassen, kommt man bei Masuyamas Nachschöpfungen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie um alles in der Welt, kann man so etwas mit photographischen Mitteln erzeugen? Fast gleich, ob es die Ansichten von Venedig sind, die brennenden Houses of Parliament in London oder das apokalyptische „Shade and Darkness“, das in einer braun-weiß-goldenen, fast schon Rembrandtschen Palette den Abend der Sintflut darstellt. Farbwirbel und amorphe Strukturen, bei denen man Wolken von Wasser, Nebel und Rauchschwaden, Feuersbrunst und Sonnenglut kaum noch voreinander unterscheiden kann, bannt Masuyama mit erstaunlicher Brillanz ins Bild.
Ähnlich wie Turner gelingt ihm dabei auch eine Art von Multiperspektivität, eine Verteilung von detailliertest wiedergegeben Zonen großer Schärfe im Wechsel mit vollkommen diffusen, flächigen Bildpartien, die räumlich schwer oder gar nicht mehr zu verorten sind.
Bei genauerer Betrachtung erkennt man dann aber beispielsweise auf dem Sintflutbild eine Detailfülle von verschiedensten Tierarten und Menschenleibern, die man überhaupt nicht vermutet hatte, eine Fülle, die das Original an Präzision noch übertrifft, die Gesamtwirkung aber keineswegs schmälert, da sie im atmosphärischen Farbraum vollkommen aufgeht.
Diese Details haben oft eine durchscheinende, geradezu gespenstische Präsenz, (und obwohl man gerade hieran ihre photographische Herkunft erkennen kann, steigern sie eigentlich nur eine Tendenz, die tatsächlich schon bei manchen von Turners Figuren existiert), was eben ihre Integration in den bildnerischen Gesamtzusammenhang erst ermöglicht.
Besonders verblüffend ist das da, wo diese Details ganz deutlich gegenwärtiger Art sind, was in manchen Landschafts Darstellungen, besonders aber in Stadtansichten zum Tragen kommt: Moderne Architekturen, Touristenansammlungen und Autos bevölkern schemenhaft das Bild- und doch sieht der Blick auf die Loreley oder den Konstantinsbogen aus wie ein Bild von Turner.
Oft sind die Bilder von eher kleinem Format – ihre enorme Präsenz erhalten sie jedoch spätestens durch die Verwendung des Mediums Leuchtkasten, das die Brillanz von Masuyamas Photographien erst richtig zur Geltung bringt.


Bedauerlich ist nur, dass die Coesfelder Schau viel zu viele von diesen Preziosen in ihren eher bescheiden dimensionierten Räumlichkeiten zeigt, so dass die Bilder sich eher gegenseitig das Wasser abgraben, als dass man das einzelne Werk noch gebührend bewundern könnte. Und bewundern sollte man sie. Es ist nur ein bisschen wie der vorweihnachtliche Plätzchen-Overkill: Man bekommt e einfach zu viele Leckereien auf einmal angeboten und muss sich schon schwer beherrschen, um nicht durch Überfütterung die Freude daran zu verlieren.




Vielleicht – und das ist der wesentlichere Einwand – wären die Ausstellungsmacher gut beraten gewesen, die eine Hälfte der Bilder durch eine anständige Beschilderung zu ersetzen, denn die fehlt komplett. Es existieren ein Grundriss und eine unsortierte Liste aller Werke (jeweils in singulärer Ausfertigung), die man mit den Exponaten unmöglich zur Deckung bringen kann, es sei denn, man möchte mehrere Tage in der Ausstellung verbringen, ausgerüstet mit genügend bebilderten Nachschlagewerken. Gerade bei dieser Fülle an expliziten kunstgeschichtlichen Bezügen wäre das eigentlich zwingend, wie man überhaupt in der Ausstellung auch gerne Informationen über die Arbeitsweise des Künstlers bekommen würde. Lehrreich ist die Schau daher nur für die Cognoscenti – für alle anderen bleibt immerhin noch das schiere Staunen und ein genussvolles Sich-Berauschen an so viel leuchtender Schönheit.

Stephan Trescher
Gastrezension für den Der Meisterschüler

zu: Hiroyuki Masuyama: Zeit-Reise im Kunstverein Münsterland e.V. in Coesfeld

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