Montag, 4. September 2017

Zärtlichkeit in Fetzen

Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 


M.R. Heydt über Michael Dean: Tender, Tender
Zugegeben: Wenn man draußen vor dem Museum diese fahrradschlossähnlichen, gräulichen Wülste im Pappmaché-Look gesehen hat (die so sinnig mit Fahrradschlössern an Laternenmasten und Straßenschildern befestigt sind), verspürt man wenig Lust, sich den Rest von Michael Deans Arbeit im Innenhof noch anzusehen, so heillos zusammengeschustert sehen sie aus, wie die zum Strang verzwirbelten Überreste der letzten Baustelle.

Eine Neudefinition des Begriffs „Künstlerbuch“


Drinnen bleibt es ähnlich unansehnlich und mit dem Raum weiß der Künstler auch nicht umzugehen, aber es wird interessanter: Nicht aufgrund des billigen Schlüssellocheffekts (erst wird das Werk an drei von vier Seiten verhängt, um dann Löcher in die Abdeckplanen zu schneiden, damit die Spanner was zu gucken haben und die ganz Ungeduldigen, die nicht erst außenrum gehen wollen, um sich das Elend in seiner ganzen Pracht zu betrachten).

Gedeiht auch in Innenräumen: Die Fetzenpalme

 

Sondern weil Tender, Tender wie die gesamte Skulpturen-Ausstellung im kleinen wirkt: Ein großes Tohuwabohu, das hauptsächlich nach Provisorium aussieht, einer Baustellenästhetik des Hässlichen und Unfertigen frönt – und trotzdem kann sie Vergnügen bereiten, weil man so schön auf Schnitzeljagd gehen kann, hin und wieder ein ästhetisch befriedigendes Detail entdeckt oder unerwarteterweise etwas zu lesen findet.

Niedlich: Herzchen-Lego-Bauplatten!



Als würde Michael Dean uns erzählen wollen: Das ganze Leben ist eine Baustelle und am meisten haben wir damit zu tun, aus den Trümmern gescheiterter Liebesbeziehungen wieder irgendetwas aufzubauen, bestehen die Einzelteile dieses kruden Wirrwarrs aus lauter Zementabgüssen von Zementsäcken, Armierungseisen, Absperrbänden, Plastiktüten und Papier in unterschiedlichen Stadien der Zerfetztheit – und eben Bedrucktem.

Das Gleiche in Grün [und im Hintergrund lauert Elvis]





 

Farbgetränkte und vorsätzlich zerfledderte Bücher lassen zwar Zweifel an der Literatur-Affinität des Künstlers aufkommen – immerhin setzen sie starke farbige Akzente und rufen an manchen Stellen beinahe so etwas wie ästhetisches Wohlgefallen hervor – trotzdem: Das Spannende an der Arbeit von Michael Dean ist die Sprache.
Zu spät.




Es mag eine Kritikerkrankheit sein, so positiv auf Geschriebenes zu reagieren. Aber tatsächlich retten die Wörter, und nur sie, das Dean‘sche Durcheinander.
Überraschend wenn auch nicht ganz neu ist es beispielsweise, wenn die Textfragmente gut getarnt als Werbeaufkleber oder auf verschiedenen Sorten von Flatterband, in schwarz-gelb, blau-weiß oder schwarz-weiß-rot auftauchen und entweder Mangelsymptome als kurze Hilferufe buchstabieren wie „Feeling of pain, Weakness, Emptiness“ oder einfach nur “Sorry” stammeln.

„Scheiß auf den Reiswein!“ Ob das die korrekte Übersetzung ist?
Und nicht nur auf Bündeln von Buchseiten, sondern eben auch auf Plastiktüten steht hier vorwiegend Eines, in endloser Permutation, sinnentstellend getrennt, aber noch zu entziffern:
„I loved you. Always will I do.“


M.R. Heydt 


M.R. Heydt ist Autor einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppe Kosellecks skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten.
Diskurs auch auf FB, mögl.
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