Dienstag, 10. Mai 2016

Der dritte Raum, der im Kopf entsteht...

Schneiders Kaaba zu Venedig (Planskizze zu einem zensierten Projekt zur Bienale)

"Wen juckt Zensur heute noch?" fällt auf Wunsch des Künstlers aus "weil es eh keinen juckt".
So begann der Vortrag von Gregor Schneider (1969 in Mönchengladbach-Rheydt geboren), den er souverän und fast 2 Stunden, im brechend vollen Hörsaal der Kunstakademie Münster, am 10.05. 2016 hielt.
Erkennen wir heute noch Zensur? War eine Frage die er stellte, bevor er auf sein enormes Werk einging. Seine Anfänge hatte er in Münster und baute eine erste Wand in den Hörsaal in der Scheibenstrasse. Er war an Timm Ulrichs und Reiner Ruthenbeck interessiert. Dann wechselte er nach Düsseldorf und wurde Meisterschüler von Fritz Schwegler (der bekanntlich viele hervorragende Künstler auf den Weg brachte, wie Thomas Demand, Martin Honert, Maik und Dirk Löbbert, Katherina Fritsch und viele mehr.)

Wände wurden zu Räumen, Räume zu Häusern. Er baut Räume um und aus, er dämmt sie und er verdoppelt sie, er belebt sie und er nimmt Ihnen den letzten Atem, fotografiert sie und schließlich sammelt er sie. Manche am Stück, manche in Einzelteilen.
Ihn interessiert die Originalität der Räume und die Frage: „Wie verhält sich der Raum mit der Zeit?“
Die Verdopplung legitimiert die Arbeit, manche Räume machen Angst, von Außen würde man sagen: “Ich möchte nicht wissen, was da drinnen vor sich geht.“
Er muss sich Selbstversichern, wie ein Kind, das die Dinge in die Hand nimmt, um sie zu begreifen. Im Vordergrund stehe für Ihn die Verbindung zwischen Kunst und Leben. Und es geht um Wahrnehmung, um Zustände ohne Erwartungshaltung, direkt und unmittelbar. 

2001 wurde er nach Venedig zur Biennale eingeladen und stellte sich die Frage: „Wie betrete ich ein Museum?“ Er baute die Räume seines berühmten „Haus u r“ in den deutschen Pavillon und nennt das Werk: “Totes Haus u r“. Mit diesem Werk erhielt er den golden Löwen von Venedig. Aufbau und Abbau wurden zum Prozess.
2005 wurde Gregor Schneider offiziell eingeladen, zur Biennale 2005 auf dem Markusplatz in Venedig den CUBE VENICE zu realisieren. Kurz vor der Eröffnung wurde diese Skulptur jedoch abgesagt, aufgrund seiner „Politischen Natur“. Zu nah an der Kaaba in Mekka (Kaaba heißt übersetzt: „würfelförmiges Bauwerk“) sei der schwarze Kubus.
Es entstand eine große Diskussion und es drängten sich Fragen auf wie:
Wo steht unsere Gesellschaft und wie offen sind wir, politische und religiöse Themen anzusprechen? Wo hört die Verantwortung des Künstlers auf, für den Diskurs zu sorgen? 
2007 wurde das schwarze Quadrat – Hommage an Malewitsch neben der Kunsthalle in Hamburg realisiert.

2007 fand auch in Düsseldorf im K21 das „Camp V, Guantánamo Bay, weiße Folter 2007“ statt. 

Gregor Schneider hinter dem Stativ und in angemessener Pixeligkeit - Foto Lipke, Bearbeitung Der Meisterschüler
Er baute Gefängniszellen in das Museum und orientierte sich an dem Bildmaterial, das er über Guanánamo fand. Er sei sehr Detail verliebt, alles was er recherchieren konnte hat er aufgenommen. Jeder Besucher musste einzeln durch die Gänge, an Gefängniszellen vorbei, die er auch betreten konnte, durch einen schwarzen Raum, der hatte man die Mitte erreicht plötzlich völlig dunkel wurde, bis man drei Schritte weiter das schwache Licht des Ausgangs schon als erlösend empfand. Weiter durch einen Kühlraum, in dem man kaum noch wusste, wo man war und sich nicht sicher sein konnte, ob die nur ein paar Schritte entfernte Tür auch wirklich zu öffnen war. Sie lies sich öffnen und man stand hinter dem Museum und blickte auf einen friedlichen See. 

Für viel Wirbel sorgte auch eine Röhrenskulptur, 2014 zur Ruhrtriennale in Duisburg, die kurzfristig vom Oberbürgermeister abgesagt wurde, weil man Angst hatte, sie könne Erinnerungen an das Drama auf der Loveparade auslösen. Kurzfristig entstand eine Arbeit in Bochum, dort lies Schneider die Besucher das Museum mal ganz anders betreten – durch „ein Abflussrohr“. 
Doch Gregor Schneider war nicht über den Medienrummel erfreut, da am Ende die Kunst leide, weil sie nicht mehr im Vordergrund stünde. Jede negativ Presse müsse mit guten Berichten überschrieben werden, damit man der Kunst gerecht würde.

Dann wurde am Schluss des Vortrags, eine Frage nach seinem Sterbezimmer gestellt und um diese Frage zu beantworten holte Gregor Schneider noch einmal gekonnt aus um den Nagel auf den Kopf zu treffen: Das Sterbezimmer habe er für sich gebaut und was bitte schön sei falsch am Thema Sterben? Sterben gehöre zum Leben!
Gregor Schneider stellt Fragen existenzieller Natur und beantwortet sie in den Köpfen der Besucher seiner Ausstellungen – eben im dritten Raum, der im Kopf entsteht...

Damaris Lipke
für den Der Meisterschüler


Gastbeitrag von Damaris Lipke, Bildende Künstlerin und Performerin, die seit vielen Jahren dem Meisterschüler redaktionell verbunden ist. Da es uns terminlich absolut unmöglich war, den oben beschriebenen Vortrag zu besuchen, freuen wir uns ganz besonders, dass Damaris Lipke uns ein paar Zeilen zur Sache überließ. Vielen Dank!
 

Als informativen Link zur Person, veröffentlichen wir an dieser Stelle eine gemeinsame Performance mit  Anetta Küchler-Mocny .

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