Dienstag, 1. November 2016

Matt, mau, Moore

In Münster bekommt ein glänzender Künstler einen Grauschleier verpasst.

Um das vorwegzunehmen: Es gibt in dieser Schau viel Schönes und manches Unbekanntes zu entdecken, insofern kann der ausreichend vorgebildete Besucher sie mit Gewinn betrachten. Wenn man aber den Blick auf das große Ganze richtet, muss man leider doch konstatieren, dass die Ausstellung scheitert – zumindest an ihren Ansprüchen.
 
Was den Kuratoren natürlich nicht anzulasten ist, ist die Architektur. Die erhabene Kathedrale von einem Foyer ist das Glanzstück des Staabschen Museumsneubaus und hat man dieses erst einmal über die langen Treppen der Demut seitlich durchschritten – kommt nicht mehr viel. Im Verhältnis zu diesem lichtdurchfluteten Riesenraum müssen alle Ausstellungsräume einem niedrig (was sie nicht sind), dunkel (was sie sind) und stets viel zu klein vorkommen – besonders, wenn so vieles und so viel Verschiedenes darin präsentiert wird wie hier.
 
Die farbigen Wände sind im Münsterschen Landesmuseum schon seit der Wiedereröffnung vor zwei Jahren immer wieder Anlass für viel Spott und Häme gewesen. Diesmal haben sich die Ausstellungsmacher dafür entschieden, jeden Raum in einem farblich anders abgetönten Grauton zu halten. Da muss man nicht erst an sadomasosoftpornographische Erfolgsgroschenromane der jüngeren Vergangenheit denken, um daran keinen Geschmack zu finden. Denn diese Skulpturen hätten nun wahrlich einen sattfarbigen Hintergrund verkraftet, oder noch besser ein helles, strahlendes Weiß. So aber legt sich über all die dämmrig bis dunkel gehaltenen Ausstellungsräume zusätzlich ein zäher Grauschleier, der dazu angetan ist, noch das letzte Restchen an sinnlichem Sehvergnügen zu vertreiben.
 
Das ist dann durchaus den Kuratoren vorzuwerfen, die stattdessen irgendetwas beweisen zu wollen scheinen – man weiß nur nicht genau, was. Man merkt nur, auf Schritt und Tritt, dass sie einen riesigen Anspruch vor sich hertragen, den sie dann nicht erfüllen können. Allein schon dieser Untertitel „Impuls für Europa“! Was soll das heißen? Dass Moore als Vehikel zur politischen Aussöhnung zwischen England und Westdeutschland nach 1945 diente? Als staatstragender Künstler sogar das Bundeskanzleramt mit seiner Kunst schmücken durfte? Also ein Botschafter der Völkerverständigung war – oder nur ein vom British Council instrumentalisierter Vorzeigekünstler?
Oder soll es bedeuten, dass Henry Moore die europäische Bildhauerei der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im Allgemeinen stark beeinflusst hat? Gegen diese Behauptung wäre ja nicht einmal allzu viel einzuwenden – nur zu sehen bekommt man davon herzlich wenig.
Die vielen Exponate in der Ausstellung, die nicht von Moore stammen (wenn man die eher unbedeutenden Papierarbeiten des Briten nicht mitzählt, sind sie wahrscheinlich sogar in der Überzahl) zeigen eher Parallelentwicklungen in der europäischen modernen Skulptur als kausale oder wirkungsgeschichtliche Zusammenhänge und die bei weitem größte Zahl der Werke stammt von deutschen Künstlern. Europa ist dann doch ein bisschen größer.
So ist es am ehesten eine Bernhard HeiligerKarl Hartung – Henry Moore –Schau – und wahrscheinlich wäre das ein echt gewinnbringender Ansatz gewesen, die Entwicklung dieser drei Bildhauer vergleichend nebeneinanderzustellen.
 
Da aber die chronologische Darstellung zugunsten einer thematischen Gliederung der Ausstellung aufgegeben wird, ist solch eine vergleichende Betrachtung ziemlich schwierig, zumal ja noch die eine oder andere weitere Künstlerfigur hinzukommt, hier ein Baumeister, da ein Giacometti, dort ein Lüpertz….
 
Ganz gut funktioniert die motivische Sortierung noch bei den „Liegenden“ die schöne Arbeiten von eben Hartung und Heiliger oder Arp solchen von Moore gegenüberstellt und man sieht, dass sie eher aus ähnlichen Quellen schöpfen, als dass sie sich gegenseitig beeinflusst haben (wenn überhaupt, dann hat Moore bei Arp gelernt; aber auch das wird nicht deutlich gemacht).
Warum dann dort der Beuys‘sche „Bergkönig“ am Boden liegt, weiß man nicht so recht. Ja sicher ist das eine Bronzeskulptur, die man als liegenden, zweiteiligen Torso interpretieren könnte, aber da gäbe es noch hunderte andere Beispiele, die besser passten, mehr mit Moore zu tun hätten. Um das namedropping allein kann es doch nicht gegangen sein, denn wenige Schritte weiter hängt eine wunderbare Parodie, die „Plastik von Moore von Beuys“ an der Wand, die dem Monumentalisten Moore mit leichtester Hand das Pathos austreibt. Beuys nimmt einfach ein Gummiband mit Lasche, verknotet es in sich und baut einen Papprahmen drumherum – fertig ist die liegende Moore-Skulptur für den Hausgebrauch..
 
Was bei den liegenden Figuren manchmal funktioniert - der Erkenntnisgewinn durch Vergleichbarkeit - geht schon bei den Köpfen, Masken und Helmen gar nicht mehr auf: Die grundsätzliche Zweischaligkeit der Mooreschen Helme -ein höchst spanendes skulpturales Thema - findet sich nur bei Michael Croissant und sonst nirgends in der Ausstellung, alles andere sind irgendwelche Köpfe bzw. Skulpturen, die dazu erklärt werden. Auch hier gilt: Weniger wäre sehr viel mehr gewesen.
Dann hätte man sich beispielsweise auf so wunderbare Moore-Skulpturen konzentrieren können wie „Mutter und Kind“ von 1953. Die entspricht so gar nicht dem Klischee, das man von diesem Künstler hat, hier beherrscht eine fast schon karikierende Haltung das Thema:- Es ist eine Darstellung purer Aggression, von Fressen und Gebissenwerden, die Mutter, ein Wesen mit Fleischhammerkopf, hält das Kind mit aufgesperrtem Vogelschnabel, das ihre Brust zu verschlingen droht, sicher im Würgegriff. Das Ganze in zeichenhafter Verknappung, die ein wenig dem surrealen Picasso und viel den Skulpturen von Max Ernst zu verdanken scheint. (Wieder ein Thema, dem die Ausstellung nirgends nachgeht).
 
Oder die wunderhübsche Kombination aus Bronze und gespannten weißen Gummifäden, die an archaische Musikinstrumente afrikanischer Provenienz erinnert. In diesem Fall klug gegenübergestellt einer Skulptur von Barbara Hepworth, die fast 20 Jahre später etwas so ähnliches schuf, dass man getrost den Vorwurf des Plagiats erheben könnte, selbst wenn es ein geglücktes ist.
Ebenfalls sehr schön: Die „zweiteilige Skulptur Nr. 7“ mit dem Untertitel „Pipe“. Da möchte man sofort mit Magritte ausrufen „Ceci n’est pas une pipe“! In der Tat fragt man sich, ob da der Titel ein missglückter Verschleierungsversuch sein soll, denn wenn man sich die beiden Moore-typischen, gedrungen gerundeten Volumina der zwei ineinander verschränkten Formen auch nur eine Spur genauer ansieht, kann man nicht umhin, darin ein Meisterstück abstrahierter Geschlechtlichkeit zu erkennen, der höchst elegant verklausulierten Beinahe-Vereinigung eines männlichen und eines weiblichen Parts.
 
Ganz geballt bricht es am Schluss über den Betrachter herein, der Sadismus von 50 Sorten Grau der Theorie, in einem kunsthistorischen Crash-Kurs-Raum, wo noch ganz viele Künstlerbiographien wie in einem Abspann per Saaltext nachgereicht werden und man auf Vorläufer, Nachahmer und Moore selber trifft und so völlig Unvereinbare wie Henri Laurens und Norbert Kricke nebeneinanderstehen, so dass man gar nicht mehr weiß, worum es hier eigentlich gehen soll – außer der gesamten Geschichte der europäischen Skulptur im 20. Jahrhundert.
Die schönsten Exponate befinden sich sowieso im Außenraum, besonders geglückt ist die Aufstellung des aus Berlin ausgeliehenen „Archer“ vor der Rückseite des Museums (normalerweise ein vertrauter Anblick vor der Neuen Nationalgalerie). Übertroffen wird der nur noch von der 3-teiligen, monumentalen „Vertebrae“- Skulptur auf dem Gelände der LBS, die dort bereits seit 40 Jahren im Grünen steht.
 
Ganz unabhängig von ihrer Größe führen diese Skulpturen einem eines vor Augen, nämlich warum die Skulpturen im Museum so anämisch wirken, auch dort wo sie ausnahmsweise nicht in Vitrinen eingesperrt sind. Es fehlt ihnen das, was Kunstwerke im allgemeinen und Skulpturen im besonderen zum Leben brauchen: Licht und Raum.


Dr. Stephan Trescher
für den Der Meisterschüler 


Dieser Gastartikel erscheint in der Rubrik Rezension - Poltonieri besprach im WDR den anderen Moore, so  - ein eigenes Bild erstelle man sich vor Ort in dem Landesmuseum Münster am Dom.
Ein Artikel über Roger - den wirklichen Moore - erscheint, sobald Adad Eklir für die Redaktion sprechen kann.

Der Henry Moore-Impuls für Europa ist noch bis zum 19. März 2017 im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster zu sehen. Sie sollten den nicht verpassen (!).

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