Dienstag, 27. Juni 2017

This Rock Sucks

Dr. Jackie L. Stevenson über Nietzsche‘s Rock von Justin Matherly

Nietzsche´s Rock, Justin Matherly  Foto: Stephan Trescher


Schon wieder eine Skulptur im Konjunktiv! Man könnte auch Attrappe dazu sagen. Module einer Klettersporthalle, auf ein Lattengerüst montiert, mit Lücken zwischen den grauen Betongussteilen, so dass man ins hohle Innere blicken kann und auf das orangefarbene Gerüst; kaum zu erkennen dagegen, dass die Skulptur auf orthopädischen Gehhilfen steht. Die Gesamtform ist annähernd spitz bergig und gereichte jedem Minigolfplatz zur Zierde. Damit an diesem unattraktiven Fake-Felsen nicht jeder achselzuckend vorbeigeht, bemüht Justin Matherly einen alten Trick und bringt im Titel eine Berühmtheit unter: Nietzsche! Da gehen alle vor Ehrfurcht in die Knie und legen die Stirn in grüblerische Falten (oder lassen sich gleich einen buschigen Walrossbart stehen).

Nietzsche´s Rock, Justin Matherly  Foto: Stephan Trescher

Tatsächlich bezieht sich der Künstler mit der Form seiner Skulptur auf den sogenannten „Nietzsche-Felsen“ Der Stein liegt in der Nähe von Surlej im Oberengadin, höchst malerisch am Ufer des Silvaplanersees. Er soll Nietzsche nach eigenen Angaben auf den Gedanken zur 'Ewigen Wiederkunft des Gleichen' gebracht haben. (Keiner weiß, warum). Das macht Matherlys Skulptur– in immer neuen Anläufen und Abgüssen von Abgüssen weiter vom ohnehin nie in natura studierten Vorbild entfernt -– aber noch lange nicht zum Stein der Weisen.

Der originale Felsen ist nur eine biographische Anekdote (wenn auch geographisch genau zu verorten und noch immer existent, inzwischen incl. Gedenktafel) und hat mit den Gedanken und Schriften des Philosophen rein gar nichts zu tun. Nicht mehr als der Potsdamer Einsteinturm mit der Relativitätstheorie oder der Brocken mit Goethes Faust.

Und die „ewige Wiederkunft des Gleichen“? Wird hier keineswegs verhandelt, höchstens die Abnutzungserscheinungen geistiger und formaler Art durch fortgesetztes Wiederholen und Kopieren. Hier geht die Philosophie am Stock und die Kunst auf Krücken.
Und Nietzsche weint.

Dr. Jackie L. Stevenson für den
Der Meisterschüler

Stevenson ist die erste Autorin einer von Dr. Stephan Trescher und skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl..

Philosophischer Gehalt: 1
Farbigkeit: 2
Hohlheit: 9 

5 Kommentare:

Martina Muck hat gesagt…

Lustige Bewertung! Mir gefällt die Arbeit allerdings. Der theoretische Unterbau ist völlig unverständlich… das ging mir allerdings schon bei vielen Arbeiten so, deshalb bin ich geneigt wenig Theoretisches zu lesen. Wenn ich mir die Arbeit als Skulptur einfach anschaue, sehe ich Einiges: Ein Berg oder eine Bergspitze? in Fragmenten und dennoch als Berg in seiner Schroffheit wahrnehmbar. Die Fragmente selber auch wieder in Fragmenten. Darunter die kaum sichtbare leuchtende Unterkonstruktion, wie eine Zeichnung. Sie leuchtet also größtenteils für sich, im Inneren. Das Ganze seltsamerweise auf Gehstützen, leicht schwebend… auch die Gehstützen, kaum zu bemerken. Auf der Oberfläche rechteckige Elemente, die von ihrer Größe darauf hinweisen, dass es sich vielleicht doch um eine Bergspitze handelt… Dann könnte man sie mit Hilfe der Rechtecke erklettern… oder um die Miniatur eines Berges, dann wären die Rechtecke riesig groß… die Funktion dieser Elemente bleiben also offen, mehrdeutig. Diese optische Vieldeutigkeit macht mir Freude.

Ruppe Koselleck hat gesagt…

Hallo Martina, ich schließe mich Deiner Beurteilung an und bekenne mich zum Fan dieser Arbeit. Wer des Nachts mit Händie bewaffnete Kunstfreundinnen und Freunde beim Fotografieren und Ausleuchten des Felseninneren beobachtet hat, weiß dass hier etwas ausgestellt wurde, dass eigenes Licht und Be- wie Erlcuchtung verdient. Werde auch noch mal einen Gegenkritik formulieren.

Ruppe Koselleck hat gesagt…

Meinte Erleuchtung, siehe oben, - und behaupte das Gegenteil von Jackie Stevenson - was die philosophischen Pluspunkte in der nach oben offenen Richterskala der Bewertung angeht. Die Fragilität der Stützkonstruktion des Betonschalen-Abguß-Modells des Felsens, wo Nietsche dereinst nachdachte, verweist auf hochkomplexe, bunt markierte Hölzer und A-Priories im Denken, wenn mach berücksichtigt, dass das ganze auf Krücken ruht...
Was geht hier, was steht, was ist versehrt - ...selten so oft und gerne assoziativ vor dem Nietzsche Felsen gestritten! - für mich ein gelungenes Kunstwerke i.S.d.E.

Anonym hat gesagt…

Tja, so ist das mit der Hochkunst, einige sind sehr einfach gestrickt, wie die Martina Muck
die dem banalsten, plumbsten Dreck noch etwas abgewinnen kann.

Anonym hat gesagt…

Endlich ein Fels auf Krücken. Fels alt, Krücken aus Altersheimen. Der Jungbrunnen ist wohl doch bei der Eisenman ...