Samstag, 16. September 2017

Less science than fiction



Skulp & Blog -  eine postkryptische Bestandsaufgabe der Skulpturprojekte Münster 2017 mit multiplen Autoren - Gästen und Festen. 

Schlittschuhlaufen müssen wir jetzt wohl woanders.

Dr. Jackie L. Stevenson über Pierre Huyghe:  After ALife Ahead

Es war einmal eine Eissporthalle. Schattig und kühl ist es drinnen noch immer – besonders, wenn man eine Stunde lang auf Einlass wartend in der Sonne gestanden hat, was außer der Körpertemperatur auch die Erwartungen mächtig in die Höhe treibt. Die dann folgendermaßen enttäuscht werden:

Die ultimative Synthese aus Caspar David Friedrich und Bob, dem Baumeister.





Wenn sich die Augen ans Halbdunkel gewöhnt haben, was sehen sie da? Eine Großbaustelle: Aufgestemmte Spezialbetonbodenplatten, schön geometrisch zersägt, vorzugsweise in spitzwinkligen Vier- und Dreiecken, flach oder verkantet schräg aufgestellt in einer großen Baugrube, die, unregelmäßig ausgehoben, etwas sehr landschaftsähnliches bekommt. Durch diese Landschaft darf man auf vorgegebenen Pfaden wandeln, kommt an einer Grundwasserpfütze vorbei, in und an der sich erste Algen und bescheidener Pflanzenbewuchs angesiedelt haben.

Aquarium wie außenrum: CDF  fährt jetzt U-Boot.


Außerdem gibt es einen großen gläsernen Quader, der meistens schwarz ist, manchmal aber wie von Zauberhand durchsichtig wird und sich dann als Aquarium zu erkennen gibt, in dem eine ähnliche Landschaft in klein arrangiert ist wie außenrum.

Der Berg der Bienen


Bevölkert ist das Aquarium nur spärlich, einen neonbunten Zierfisch und eine Seeanemone konnte ich selbst ausmachen, angeblich lebt dort aber auch noch eine sogenannte Textil-Kegelschnecke.
Belebt wird die Halle des weiteren durch Bienen, denen man eine Art von tönernem Kegel–Berg zur  Anlage ihres Stocks errichtet hat und die beständig durchs geöffnete Dach ein- und ausfliegen.
Etwas abseits steht außerdem ein geschlossener schwarzer Kasten, angeschlossen an eine Sauerstoffflasche und die Stromversorgung – ein Inkubator, in dem sich menschliche Krebszellen vermehren sollen.

Sie kommen!


An der Decke der Halle hängen flache schwarze Pyramiden, von denen zwei als elektrisch gesteuerte Dachluken ausgeprägt sind und von denen die eine sich ab und zu automatisch öffnet und wieder schließt.
Letztgenannter Vorgang wird, so heißt es, von den Bewegungen der Kegelschnecke ausgelöst, die auch für die Aktivierung der ab und zu erklingenden Brummtöne verantwortlich sein soll.
Das Gehäuse dieser auch Weberkegel genannten Schnecke ist hübsch gemustert und besteht überwiegend aus Dreiecken. Was also eine formale Verbindung herstellt zu den Pyramiden an der Decke und den wie Eisschollen in die Luft ragenden Bodenplatten, die den kunstsinnigen Betrachter natürlich an Caspar David Friedrichs berühmtes Gemälde der „Gescheiteten Hoffnung“ erinnern.
Ob in der black box des Inkubators tatsächlich Krebszellen oder Schrödingers Katze  [https://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze] eingesperrt sind, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Auch eine schöne Verknüpfung von Tier und Maschine: Klappe zu, Affe tot.

Auch nicht, ob wirklich die Bewegungen der Kegelschnecke die Öffnung der Dachluke steuern oder ob es die Brummtöne sind oder umgekehrt.
Die vom Künstler behaupteten Zusammenhänge sind weder logisch noch nachvollziehbar oder überprüfbar, es handelt sich dabei mehr um eine Glaubensfrage.
Als pseudo-wissenschaftliche Metapher für ein kompliziertes Ökosystem, in dem alles von allem abhängt und überkreuz mit anderem verwoben ist (der Raubbau an der Erde, das Bienensterben, Krebserkrankungen und die Veränderungen der Ozeane) funktioniert Huyghes Arbeit vielleicht, in jedem Fall erzeugt sie eine diffus bedrohliche Atmosphäre.
Aber eigentlich sieht die Mondlandschaft im Dämmerdunkel doch nur aus wie eine große überdachte Baustelle mit CDF-Appeal und spacigen Dachluken, die man mit viel an von Däniken geschulter Phantasie für pyramidale Raumschiffe halten könnte, die über unseren Köpfen schweben.
Und niemand beamt uns rauf.

Dr. Jackie L. Stevenson

Dr. Jackie L. Stevenson ist Autorin einer von Dr. Stephan Trescher und Ruppes skeptischen Anteilen der Restredaktion des Der Meisterschüler kuratierten kritschen Reihe über die Skulptur, versteckte 2017 – Hierbei entsteht ein Blogbuch zum Großkunstereignis zwischen Stadt- und Kunstmarketing. In lockerer Folge werden sich hier verschiedene Autorinnen und Autoren in Einzelbetrachtungen eine kritische Bestandsaufnahme über diese erfolg- wie folgenreiche Ausstellung leisten. Diskurs auch auf FB, mögl....

Keine Kommentare: