Freitag, 15. Mai 2020

Blick zum Glück nach vorn

DER MEISTERSCHÜLER (D.M.) sprach mit Dr. Stephan Trescher. (S.T.), dem neuen Exdirektor des Kunstmuseum Ahlen.
Ein Langstreckeninterview von März bis Mai 2020 – das durch mehrfach gebrochene außerplanmäßige Ereignisse erst jetzt in dieser Form erscheinen kann.

D.M.: Herzlichen Glückwunsch zum neuen Posten! Was hast Du jetzt vor?

S.T. Nun ja, zunächst einmal werde ich natürlich das noch von meinem Vorgänger geplante Programm in die Tat umsetzen.
Nach der beeindruckenden Solo-Schau von Adam Barker-Mill steht jetzt eine große Retrospektive von und mit dem Maler Jobst Tilmann an. Danach wird das Museum erst einmal zu Sanierungs- und Umbauzwecken ein paar Wochen geschlossen. Das wollen wir unter anderem dafür nutzen, ein paar besondere Veranstaltungs-Highlights in den dann ausnahmsweise kunstfreien Ausstellungsräumen zu präsentieren: Mindestens ein Konzert und ein Tangoabend sind in Planung; besonders freue ich mich aber auf das hauptsächlich von mir selbst eingestielte Filmprogramm. 
Zum einen wird es eine Deutschlandpremiere geben: Sandra del Pilar, die im vergangenen Jahr bei uns ausgestellt hat, ist ein abendfüllender Dokumentarfilm gewidmet, der kürzlich in Mexiko seine Premiere hatte, dort vor ausverkauften Häusern lief - und gerade, auf unsere Anfrage hin, mit deutschen Untertiteln versehen wird.
Außerdem habe ich das Duo this honourable fish eigeladen, eine Vorführung von Ruttmanns „Berlin -Die Symphonie der Großstadt“ (aus dem Jahr1927) mit ihrer ganz eigenen Form von Live-Musik zu untermalen.

D.M.: Und was macht die Kunst?

S.T.: Das ist Kunst! Große sogar! Du meinst die genuin bildende?
Da kann ich nach dem Sommer endlich mit meinem Programm loslegen und den, nach Andreas Horlitz - Reflection, ersten von mir kuratierten Ausstellungen im Haus:
Den Anfang macht die Ausstellung zu Timm Ulrichs 80. Geburtstag, kombiniert mit einer Neupräsentation der Highlights der Sammlung nach ’45; danach, in Kooperation mit dem Osthaus-Museum Hagen und weiteren Leihgebern, eine große Ausstellung zu Christian Rohlfs.
Anschließend steht nach diesem Ausflug in die klassische Moderne wieder etwas Zeitgenössisches an; ob es eine Einzelausstellung an der Schnittstelle von Design und Konzeptkunst wird, ist noch nicht entschieden, aber da bin ich ganz entspannt. Und gut genug vernetzt, um aus dem Vollen schöpfen zu können. Dann gibt es, im Rahmen einer größeren Ausstellungsserien-Kooperation (Hellweg Konkret II), eine Solo-Schau mit Beat Zoderer, dem anarchistischsten Konstruktivisten aller Zeiten.
Danach werde ich sicher sowohl photographische Positionen präsentieren als auch etwas jüngere Vertreterinnen des zeitgenössischen Kunstgeschehens zum Zuge kommen lassen – ohne dabei die Sehenswürdigkeiten der eigenen Sammlung aus den Augen zu verlieren.

DM: Gibt es in Ahlen eigentlich eine Szene vor Ort? Oder ist das Museum ein Satellit?
S.T.: Es gibt natürlich den Kunstverein, die städtische Kulturgesellschaft, die Schuhfabrik, das Fritz Winter Haus etc. pp., also durchaus eine kulturelle Szene, die eine erhebliche Bandbreite abdeckt. Aber inwieweit die in der städtischen Gesellschaft verwurzelt ist, vermag ich nicht zu sagen; ich befürchte nur, die Verankerung geht weniger in die Breite der Bevölkerung in dieser sozial mindestens zwiegespaltenen Stadt und erreicht eher einige wenige, dafür treue und sehr interessierte Mitbürger. Insofern ist das Museum erst recht ein Satellit der Hochkultur, der vom Himmel zufällig dorthin gestürzt zu sein scheint. Ich habe mich allerdings schon in meiner kurzen Amtszeit erfolgreich um eine verstärkte Anbindung an die Stadt und eine größere Sichtbarkeit vor Ort bemüht – und durch die vorbildliche museumspädagogische Arbeit in Form der langjährigen Kooperation mit den Schulen vor Ort ergibt sich durchaus eine Verbundenheit mit den Bewohnern der Stadt, die hoffentlich in zukünftigen Generationen Früchte tragen wird.
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An dieser Stelle unseres noch unvollendeten Interviews geschah das Unglaubliche: Zwei Tage nach der ersten Ausstellungseröffnung, die er als amtierender Künstlerischer Leiter des KMA bestreiten konnte, wurde Stephan Trescher ohne Angabe von Gründen fristlos gekündigt. 
Gekrönt wurde der Vorgang noch dadurch, daß nur eine Woche später der staunenden Öffentlichkeit schon eine Nachfolgerin präsentiert wurde.
Bild von Dietmar Schmale alias Do.Billig,
Stephan Trescher Stephan Trescher als der Lorbeerbekränzte unter den Rednern
...der alles, aber in keinem Fall sein eigener Nachfolger werden kann.

Wir waren dann nicht sicher, ob wir das Gespräch fortführen (oder das ironische Gratulatorenbild von Dietmar Schmale noch zeigen sollten) ...oder überhaupt noch etwas davon veröffentlichen sollten und entschloßen uns dann ganz entschieden im kulturell desaströsen Shutdown genau das zu tun. Denn Corona soll nicht alles verdecken, was in der Welt sonst noch geschieht.
Nach den daraus resultierenden Verzögerungen haben wir beschlossen, das Gespräch dennoch, trotz dieser radikalen Wende fortzusetzen.
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D.M.: Was wird Ahlen nun entgehen!?
S.T.: Das ist schwer zu sagen. Nicht bloß aus virologischen Gründen. Soll heißen: Das Kunstmuseum Ahlen war bis Anfang der Woche wie alle anderen Museen geschlossen. Hinter dieser Zwangsschließung konnte man sich aber wunderbar verstecken…
Ob die von mir initiierten und geplanten Ausstellungen irgendwann einmal in anderer Form nachgeholt werden, hat nicht nur mit meiner Nachfolgerin zu tun, sondern vor allem damit, wie sich die Künstler positionieren, das kann ich ihnen schließlich nicht vorschreiben.


D.M.: Die nächsten Wochen und Monate im Kunstmuseum Ahlen sind aber voraussichtlich nun noch durch Deine Programmatik geprägt und aus der Perspektive des DER MEISTERSCHÜLER sehe ich es als eines Deiner größten Verdienste im Jahr seines 80. Geburtstages und auf dem Gipfel seines Ruhmes den Konzeptkünstler und frisch gekürten Kollwitzpreisträger Timm Ulrichs nach Ahlen geholt zu haben. Das wertet das Museum in Ahlen auf und stellt es in eine Reihe mit den großen Museen in Deutschland.
Wenn ich also nun sehe und lese, dass sie Deine Ideen und Innovationen umsetzen wollen, wie konnte es zu dieser Kündigung kommen? Was ist denn da nun eigentlich passiert?
 
S.T.: Tja, wenn ich das wüßte! Abgesehen davon, daß ich mir schon den erzwungenen Auflösungsvertrag nicht wirklich erklären kann, jedenfalls nicht mit irgendetwas, was nach Argumenten, inhaltlichen Gründen oder ähnlichem aussieht, kommt ja noch erschwerend hinzu, daß mit der offiziellen Verkündigung meines Ausscheidens sofort eine Nachfolgerin für mich aus dem Hut gezaubert wurde.


DM: An dieser Stelle disqualifiziert sich das Museum auf höchstem Niveau selbst, denn es ist ja mehr als klar, daß kein Meister und auch keine Museumsdirektorin vom Himmel fallen. Eine klassische Intrige, wo im Hintergrund unsichtbare Strippen gezogen wurden. Sie wussten offenbar längst, dass sie Dich rauswerfen werden, als sie Dich im Januar stolz als Nachfolger präsentierten – nur damit der laufende Betrieb sich gut in der Zeitung liest und man ungestört Veranstaltungen feiern kann.
Das trifft Dich persönlich und ist mehr als ärgerlich – es beschädigt aber auch den Ruf einer Institution...


S.T.: Ja, da hast du vollkommen recht, das ist in der Tat skandalös! Es beschädigt das Ansehen eines Hauses für das ich mich so leidenschaftlich verwendet habe.
Da arbeitet man über 15 Monate für ein außergewöhnlich ausgestattetes Haus mit beträchtlichem Potential, mit teils ruhendem, teils genutztem künstlerischen Kapital, identifiziert sich mehr und mehr mit diesem Museum, besorgt sich vor Ort eine Wohnung und freut sich auf eine Zukunft, um etwas in Ahlen weiterzuentwickeln, was beträchtliche Strahlkraft entfalten kann. Das heißt, man entwickelt stetig und sukzessiv Perspektiven, knüpft jede Menge an persönlichen und institutionellen Kontakten, strickt an Strategien, feilt an Konzepten – und plötzlich wird man ohne Vorwarnung, also in vollem Lauf per Stolperdraht zur Strecke gebracht, quasi aus dem Hinterhalt erschossen. Ich weiß, von wem – aber nicht warum. Ich kann nicht verhehlen, daß einen das ungeheuer frustriert.

D.M.: Und nun, was tun?

S.T.: Nachdem man mir juristischerseits von einer arbeitsrechtlichen Klage abgeraten hat, kann ich mit diesem unseligen Kapitel wenigstens eher abschließen.
Wenn ich ein wenig berühmter wäre, könnte ich dieses Trauerspiel natürlich als Provinzposse abtun, einen internationalen kuratorischen Wanderzirkus aufmachen und mal hier, mal dort gastieren, wo gerade das Wetter am schönsten oder die Finanzpolster am dicksten sind. Ausstellungsideen habe ich genug!
So aber werde ich mir etwas anders überlegen müssen für die Nachseuchenzeit. Die größte aller Herausforderungen habe ich aber bereits angenommen, nämlich mich in Zuversicht zu üben!

D.M.: Vielen Dank für das Gespräch und GLÜCK AUF…bald!
Zu einem besseren Zeitpunkt - an einem anderen Ort, wenn wir sagen werden. HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH, Herr Trescher!

Das Interview mit Dr. Stephan Trescher führt Ruppe Koselleck,
der wie immer

kryptisch und befaßt
mit herzlichen Grüßen

verbleibt
 
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des DER MEISTERSCHÜLER fördern die abwegigen Vorhaben des zukünftigen CEO von BP durch positives Kaufverhalten. DANKE.


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