Mittwoch, 20. Januar 2021

Steinzeuge

Helene Baldursson zeigt im Flandernbunker in Kiel ihre partizipative Installation Steinzeuge.
In Zellufantüten werden millimetergroße Steinchen aus Birkenau und Auschwitz an einer großen schwarzen Tafel gezeigt, die zur Einlage in den Schuh mitgenommen werden dürfen.


Die Steinchen im Schuh erinnern dann auf Schritt und Tritt an die Herkunft der Steinchen, an das Lager und an das Unbegreifliche selbst. Damit konstruiert die konzeptuelle Kunstvermittlerin aus Osnabrück ein minimalinvasives Störfeld zum Mitnehmen - eine geringfügige haptische Intervention gegen das Vergessen in dem persönlichen Schuh. 


 

Auf freiwilliger Basis sind die Steinzeugen dann dazu eingeladen, Helene Baldursson einen Erfahrungsbericht der erlebten Störfelder einzusenden. Frankierte Briefe und Steinchen liegen im Flandernbunker bereit - die Auswertung der Post wird zur Aufgabe.

So kannst auch du Steinzeuge*in werden: 
Lege das Steinchen aus Auschwitz in deinen Schuh. Mache dir bewusst, woher dieser Stein stammt und beobachte in den nächsten Tagen, was dieses Bewusstsein mit dir macht. Eventuell verlässt auch dein Erinnerungsstein irgendwann deinen Schuh. Vielleicht freiwillig, vielleicht musst du ihn entfernen, weil es zu schmerzhaft ist - physisch oder emotional. 
Auf der Karte findest du Fragen zu deinem Erleben als Steinzeuge*in. Ich würde mich freuen, wenn du sie beantwortest und in dem frankierten Umschlag an mich zurücksendest. 

Dazu Helene Baldursson selbst:
"So bin ich zur Steinzeugin geworden:
2019 habe ich zum ersten Mal in meinem Leben ein ehemaliges Konzentrationslager betreten. Das Gesehene hat mir die Sprache verschlagen, alle Worte geraubt und unendliche Traurigkeit hat sich in mir ausgebreitet.
Im Laufe einer Begehung des Geländes in Auschwitz und Birkenau hat sich ein kleiner Stein in meinen Schuh verirrt. Mein erster Impuls war es, das Steinchen zu entfernen. Doch dann habe ich entschieden es zu behalten und zu schauen, was der Stein im Schuh mit mir macht. Er hat mich über die gesamte Reise bei Schritt und Tritt begleitet, gedrückt, gezwickt und wehgetan. Jedes Mal, hat er mich an die schrecklichen Taten erinnert , die an dem Ort begangen wurden, von dem er stammt. Am Ende meiner Reise hat sich der Stein von mir verabschiedet und unbemerkt einen Weg aus meinem Schuh gefunden, doch das Erinnern ist geblieben. Spätestens, wenn ich nun einen Stein in meinem Schuh habe, erinnere ich mich an meine Gefühle in Auschwitz. In unterschiedlichsten Situationen werde ich in meinem Alltag daran erinnert, nicht zu vergessen." 

Helene Baldursson reflektiert mit dem Projekt Steinzeuge ihren ersten Besuch eines Konzentrationslagers und entwickelt dazu eine subtile Strategie von Störfeldern, die dem Erlebten eine ebenso haptische wie beiläufige Form geben. Fern des Pathos, untrennbar nah am Menschen und zugleich auch voller bekennender Hilflosigkeit gegenüber dem Massenmord selbst.

So und so ähnlich dachte ich über ihre Arbeit, als ich nach 48 Stunden nahezu ununterbrochenem Aufbau der Installationen im Flandernbunker in Kiel, das kleine Steinchen aus dem Schuh nahm.

Ruppe Koselleck
über die Steinzeugen von Helene Baldursson

KONFLIKTLANDSCHAFTEN - Besuch in Płaszów
Helene Baldursson, Andreas Brenne, Sarah Buechel, Nine Gerhard, Ruppe Koselleck, Iwona Sasinska und Ella Malin Visse
Der Flandernbunker - Mahnmal Kilian, e.V.

Im Kontext Ausstellung Konfliktlandschaften - Besuch in Płaszów, die am 27. Januar 2021 um 19 Uhr im Flandernbunker in Kiel eröffnet wird, werden an dieser Stelle Arbeiten und Projekte von sieben Studierenden und Lehrenden aus dem Fach Kunst von der Universtität Osnabrück vorgestellt. Die Arbeiten zeigen Exponate, Skizzen, Projekte und Reflexionen aus einer gemeinsamen Exkursion 2019 mit Historiker:innen in die Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Monowitz und Plaszow.

Gezeigt wird zunächst der Stand der künstlerischen Beforschungen zum Komplex Auschwitz und Plaszow aus dem IAK - Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften. Diese Arbeiten geben nur den künstlerischen Ausschnitt aus der Gesamtarbeit des IAK wieder, ohne deren Anregung und Diskussion diese Reflektionen nicht entstanden werden.

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