....es gibt sie - Ateliergemeinschaften, die länger als dreizehn Jahre leben.... |
Künstler sind die Extremisten unter den Individualisten und brauchen mindestens einen Arbeitsraum für sich, gemeinhin Atelier genannt.
Damit in Zeiten wie diesen (die nun übrigens schon ein paar Jahrzehnte andauern), in denen jeder Quadratmeter bewohnbarer bzw. benutzbarer umbauter Fläche gehandelt wird, als wäre er aus purem Gold, jeder Künstler und jede Künstlerin sich solch ein Atelier überhaupt leisten kann, müssen diese Räume öffentlich subventioniert werden.
Damit die stets leerer werdende öffentliche Hand das noch stemmen kann, fördert sie am liebsten nicht einzelne Ateliers sondern Zusammenballungen solcher Arbeitsräume in Atelierhäusern und –Gemeinschaften.
Das ist sinnvoll.
Das ist höchst paradox.
Denn wiewohl es auch in der Künstlerschaft sozial gesinnte Wesen gibt, solche, die den Austausch mit ihren Mitmenschen, sogar ihren Mitkünstlern pflegen, werden der Kollege und die Kollegin, sofern sie nicht in einem gänzlich andere Genre und Themenfeld unterwegs sind, von Natur aus erst einmal misstrauisch beäugt und als Konkurrenz betrachtet. Was sollen all die anderen Künstler um mich herum, die sowieso nicht ganz so begabt sind wie ich?
Immerhin kann man zusammen lustige, kunstferne Sachen veranstalten, Partys, Konzerte oder Kickerturniere.
Das ist gut fürs Winwin.
Denn auch die größten Eigenbrötler werden von den Synergien um sie herum etwas mitbekommen und sei es auch nur die gesteigerte Aufmerksamkeit für ihr Tun. Es ist also eine für alle eine profitable Situation, manche holen dabei mehr für sich heraus als wohlige Nestwärme, anderen genügt die.
Im Wesentlichen gilt: Der Künstler und die Künstlerin können hier prototypisch nicht nur für ihren Berufsstand, sondern für die Gesellschaft im allgemeinen probieren, das Individualitätsstreben und den Sinn fürs Gemeinwohl in Einklang zu bringen.
Der Rest der Welt zieht daraus neben dem höheren, geistigen Gewinn einer Art Gesellschaftsmodell im Kleinen auch den ganz praktischen Vorteil einer erhöhten qualitätvollen Kunstproduktion und natürlich den Umstand, dass er sehr viel höchst unterschiedliche Kunst an einem Ort versammelt findet, noch dazu einem, der mit deutlich niedrigerer Schwellenangst verknüpft ist als der fast schon sakrosankt überhöhte Rückzugsort eines so genialisch wie eremitisch vor sich hinwerkelnden Einzelkünstlers.
Das kann nicht funktionieren.
Je näher man so eine Ateliergemeinschaft betrachtet, wenn man sich das traut sogar von innen, desto mehr wird man die Unterschiede, Widersprüche und Gegensätzlichkeiten aufspüren und die absolut divergenten Partikularinteressen der einzelnen Parteien erkennen, die sich nie vereinen lassen und nur unter dem Dach der Notwendigkeit so etwas wie eine friedliche Koexistenz führen.
Gerade weil so ein von vornherein dysfunktionales Gebilde in unserer Gesellschaft nur noch selten existiert, noch seltener toleriert und quasi nie gefördert wird, deshalb ist die Existenz von Ateliergemeinschaften ein Ding der Unmöglichkeit und eine unabdingbare Notwendigkeit zugleich. Der Sand in der Suppe unserer wohlfeilen Konsenskultur und das Salz im Getriebe. Lasset uns knirschen! Denn: Ohne Knirschen keine Kunst.
Stephan Trescher,
Gastautor beim DER MEISTERSCHÜLER
Beitrag anläßlich des Jubiläums einer Ateliergemeinschaft, Münster, im November ‘23:
"Vom Odysseus zum Echtzeitalter"
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